Wir wussten von vornherein aufgrund der Wettervorhersage, dass nur der eine Tag unserer Tour sonnig und warm sein würde. Das war der Tag gestern. Also dürfen wir uns nicht wundern, dass es schon in der Nacht fürchterlich zu stürmen beginnt. Das Fliegengitter an unserer Balkontür schlackert wild gegen den Fensterrahmen. Ich befestige es mithilfe eines Gartenstuhls und des Balkontisches. Ich schlafe trotzdem schlecht. Am Morgen treffen wir uns schon um 8:00 Uhr im Frühstücksraum, weil die heutige Strecke ziemlich lang ist. Sie ist mit 65 km veranschlagt, soll aber, wie wir sehen werden, letztendlich 74 km betragen. Wir werden in Marburg Röbis Tochter Mariele und ihre Freundin Clara treffen, die dort beide studieren.
Das Forsthaus Lahnquelle bietet Radwanderern den Luxus eines Fahrradschuppens mit Steckdosen. So brauchten wir unsere Akkus nicht auszubauen, um sie wieder aufzuladen. Mit 100-prozentiger Stromversorgung starten wir auf die zweite Etappe. Wider Erwarten scheint die Sonne von einem fast wolkenlosen Himmel herab. Es ist nur etwas kälter als gestern. Der Sturm von letzter Nacht hat sich zum Glück ganz gelegt. Von nun an geht es fast ohne Unterbrechung an der Lahn entlang. Nur ist die Lahn hier oben noch ein winziges Rinnsal. Wir beobachten, wie sie von Kilometer zu Kilometer immer breiter wird.
Noch einmal 10 km weiter bei Bad Laasphe wirkt sie schon sehr viel imposanter.
In Wallau wechselt der Radweg auf die andere Seite der Lahn, was wir wieder einmal verpassen. Kilometerlang bleiben wir auf der Landstraße, bis wir unseren Irrtum bemerken. Ein Blick in die App von Komoot zeigt uns, dass lange keine Brücke über die Lahn in Sicht ist. Allerdings scheint es unweit von uns einen Übergang zu geben. Wir biegen auf einem schmalen Pfad nach rechts ins Gelände ab und erblicken schon eine überdachte Holzbrücke über die Lahn. Mit vereinten Kräften gelingt es uns, die schweren Räder die Holztreppe hoch zu hieven.
Bis Biedenkopf bleibt der Radweg links von der Lahn und bietet aus der Ferne einen wunderbaren Blick auf das Schloss, das hoch oben über der Stadt thront. Im Stadtteil Eckelshausen von Biedenkopf führt die Radstrecke mitten durch den Ort. Endlich passieren wir auch einmal eine Kirche. Sie scheint romanischen Ursprungs zu sein mit ihrem massiven Turm und dem gedrungenen Kirchenschiff aus Bruchsteinen. Gerne würde ich hineingehen und das volkstümliche Dona nobis pacem singen. Leider ist die Kirche geschlossen.
Bei der Weiterfahrt beginnen wir, nach einem Picknickplatz Ausschau zu halten und stoßen schon bald auf eine Bank mit Ausblick auf ein malerisch in Wälder und Wiesen eingebettetes Dörfchen gegenüber.
Jetzt sind es nur noch etwa 20 km bis Marburg. Die Lahn ändert mehr und mehr ihren Charakter und wird immer belebter. Bei einer Brückenüberquerung schauen wir auf ein Strandbad hinunter, wo am heutigen sonnigen Sonntag trotz der frostigen Temperatur einige Badegäste lagern. Im Wasser sehen wir allerdings niemanden. Eine Stunde später erblicken wir zum ersten Mal das Marburger Schloss in der Ferne. Auf der Lahn tummeln sich hier eine Reihe von Paddelbooten und ein Tretboot.
In Marburg angekommen suchen wir gleich unser Hotel auf. Auch diese zweite Übernachtung haben wir schon von zu Hause aus gebucht. Wir wohnen im B&B Hotel im vierten Stock. Von unseren Zimmern aus haben wir einen Blick auf den Marburger Dom. Für die Fahrräder gibt es auch hier einen Abstellraum mit Steckdosen. Bis zu unserer Verabredung mit Mariele und Clara haben wir noch fast zwei Stunden Zeit. Da wir Marburg von einem früheren Besuch bei Mariele schon gut kennen, verzichten wir auf einen Stadtrundgang und legen uns für ein Stündchen ins Bett. Anschließend habe ich noch ein wenig Zeit zum Tagebuchschreiben.
Gegen 18:30 Uhr werden wir von Mariele und Clara am Hotel abgeholt. Mariele hat bei ihrem Lieblingsinder Tandoori in der Biegenstraße einen Tisch für uns reserviert. Auf dem Weg dorthin unterhalten wir uns schon angeregt mit den beiden. Sie berichten von ihren Studienthemen und wir erzählen von unserer Tour. In dem Restaurant setzt sich die Unterhaltung bei hervorragendem Essen und feinen Getränken fort. Als wir das Lokal wieder verlassen, ist es draußen inzwischen dunkel geworden.
Auf dem Rückweg zum Hotel gehen wir diesmal anders und kommen dabei an einer riesigen Plakatwand mit den berühmten „Abi-Plakaten“ vorbei. So etwas scheint es nur hier in Marburg zu geben. Freunde und Verwandte der Abiturienten gestalten für ihre Kandidaten große Plakate mit guten Wünschen für ein gelingendes Abitur und stellen diese öffentlich aus. Uns gefällt diese Idee sehr gut. Der weitere Weg führt an der Lahn entlang und gibt uns einen Einblick in das nächtliche Treiben der Studenten in der wundervollen Universitätsstadt Marburg.
Die beiden Studentinnen begleiten uns wieder bis zum Hotel und verabschieden sich herzlich. Wir wünschen ihnen einen guten Start in das neue Semester, das morgen beginnt, und freuen uns unsererseits schon auf die nächste Etappe unserer Tour, der hoffentlich auch noch gutes Wetter beschieden sein wird.