Wir haben heute eine Strecke von 50 km zu bewältigen. Für die nächste Übernachtung haben wir ein Zimmer im Tagungshotel Höchster Hof reserviert, das direkt am Main liegt. Wenn wir Glück haben, bietet uns unser letzter Hotelaufenthalt noch einen Blick auf den Main.
Trotz der langen Strecke, die vor uns liegt, lassen wir uns Zeit mit dem Aufbruch. Wir genießen ausgiebig das überaus üppige und vielseitige Frühstück im Hotel zu den drei Kronen und lassen anschließend noch ein wenig den Ausblick auf die Einhardbasilika und den Klostergarten auf uns wirken, bevor wir beginnen, unsere Fahrradtaschen zu packen. Vor der Abfahrt habe ich noch eine Frage zu klären, die meine Schwester gerne beantwortet haben möchte. Sie ist fasziniert von dem historischen Fachwerkhaus, in dem unser Hotel untergebracht ist. Napoleon soll hier auf der Flucht nach der Schlacht bei Leipzig übernachtet haben. Sie möchte gerne wissen, wann das Haus erbaut wurde. Leider weiß keiner der Angestellten etwas darüber. Einer der Kellner meint, sich zu erinnern, einmal ein altes Buch über die Geschichte des Hauses gesehen zu haben. Er macht sich für uns auf die Suche nach dem Buch, findet es aber leider nicht. Er weiß nur, dass es das Hotel seit dem Jahr 1740 gibt. Das Haus ist aber vermutlich noch älter.
Wir radeln hinab zur Anlegestelle der Fähre und wenden uns nach links auf den Fernradweg entlang des Main. Ein wenig oberhalb des Weges sehen wir die imposante Ruine des romanischen Palatiums, eines Baus von Friedrich Barbarossa. Wir beschließen, Seligenstadt irgendwann noch einmal zu besuchen und uns dann ausgiebiger den historischen Schätzen der Stadt zu widmen.
Wir folgen in großen Schleifen dem mäandernden Main flussabwärts. Auf der gegenüberliegenden Mainseite tauchen riesig die Kühltürme des Steinkohlekraftwerks Staudinger auf.
Johannes begeistert sich wie immer für die herrlichen 380-kv-Leitungen, die sich über die Landschaft spannen. Aber bald schon bieten sich auch wieder andere Ausblicke, nämlich vor uns, ebenfalls auf der gegenüberliegenden Mainseite, taucht das Schloss Steinheim von Hanau hoch oben über den Baumwipfeln auf.
Wir radeln weiter bis Offenbach und suchen uns dort eine Parkbank am Ufer, um unser Mittagspicknick einzunehmen. Wir setzen unseren Weg weiter fort und gelangen versehentlich auf die Hafeninsel von Offenbach, wo uns ein gigantisches Wohnquartier aus hochmodernen, architektonisch überaus ansprechenden Gebäuden direkt am Wasser beeindruckt.
Über eine Brücke gelangen wir wieder zurück auf die Radwanderstrecke und erblicken schon bald in der Ferne die Wolkenkratzerskyline von Frankfurt, an der ich mich wieder einmal nicht sattsehen kann.
Der Radweg führt uns mitten hinein ins Herz von Frankfurt. Bald gelangen wir an die Stelle, bis zu der wir vor neun Tagen auf unserer ersten Etappe gekommen waren. Von nun an wiederholen sich die Eindrücke rechts und links. Allerdings nicht lange, denn wir übernachten ja heute in Höchst, einem Frankfurter Stadtteil auf der anderen Seite des Main. Um dort hin zu gelangen, müssen wir den Mainradweg verlassen und eine passende Überquerung des Main finden. Wir schalten unser Navi ein, das uns allerdings geradewegs zu einer Fähranlegestelle bringt, bei der gar keine Fähre mehr verkehrt. Wir fahren weiter bis zur Leunabrücke und überqueren dort den Main. Wir sind kolossal überrascht davon, wie schön der Stadtteil Höchst ist. Das hatten wir nicht erwartet. Wunderschön erhaltene alte Fachwerkhäuser säumen die Straße links und rechts.
Unser Hotel liegt sehr zentral, scheint aber schon ein wenig in die Jahre gekommen. Wir nehmen den antiken Fahrstuhl und lassen uns zu unserem Zimmer im zweiten Stock hinauffahren. Auf den ersten Blick sehen wir den spektakulären Ausblick auf den Main, auf den zweiten Blick müssen wir feststellen, dass das Bett zerwühlt ist. Der sehr schlecht Deutsch sprechende Rezeptionist kann sich den Umstand nicht erklären. Er gibt uns das Zimmer nebenan. Der Ausblick ist vergleichbar dem des ersten Zimmers. Aber hier riecht es nach Rauch. Wir wollen nicht noch einmal reklamieren und reißen das Fenster weit auf.
Nach einer kleinen Erholungspause brechen wir zur Erkundung der Höchster Altstadt mit seinem Renaissanceschloss auf. Gleich gegenüber des Schlosses laden mehrere Lokale mit Außengastronomie zur Einkehr ein. Leider kann man dort nur auf Bierbänken ohne Rückenlehne sitzen. Wir suchen weiter und durchstreifen die malerischen Straßen der historischen Altstadt. Die Luft ist unglaublich mild. Schön wäre es, noch einmal ein Lokal zu finden, bei dem man draußen sitzen kann. Und schon stoßen wir auf das italienische Restaurant Il Vecchio Muro, das in einer sehr ruhigen Straße etwa acht Tische entlang einer Hecke aufgestellt hat. Hier bleiben wir und genießen einen wundervollen Spätsommerabend mit Lachs in Hummersauce.