Von Aschaffenburg bis Seligenstadt (Etappe 8 des Mainradweges)

Als ich am Morgen aus dem Fenster schaue, traue ich meinen Augen nicht. Immerhin wohnen wir im dritten Stock des Hotels. Da ist mit einem solchen Gegenüber nicht zu rechnen. Aus unmittelbarer Nähe schaut mich eine Ziege an. Sie steht oben auf der Mauer, die unsere in den Weinberg gebaute Terrasse umgibt. Ich trete hinaus und entdecke noch zwei weitere Ziegen. Um zu den Ziegen zu gelangen, muss ich ein hölzernes Gartentörchen durchschreiten. Ich schiebe den Metallriegel zurück und trete ein. Die Ziegen laufen vor mir davon und klettern die steile Treppe hoch auf die nächste Geländestufe. Ich wage es nicht, hinterher zu gehen. Da erscheint hinter mir ein junger Mann mit Eimern und tritt auch durch das Törchen ins Ziegengehege ein. Ich erfahre von ihm, dass die Tiere zum Hotel gehören. Man hält sie hier quasi als Haustiere, nicht als Nutztiere. Ich darf mit hinaufsteigen zum Stall und zusehen, wie sie gefüttert werden.

Das Frühstück gibt es drüben im roten Haupthaus „Zum wilden Mann“. Ein großer Raum ohne Tageslicht erwartet uns mit weit auseinander stehenden Tischen. Wieder einmal müssen wir uns am Buffet bedienen lassen. Der routinierte Kellner arbeitet gerade einen neuen Mitarbeiter ein, der heute seinen ersten Tag in dem Hotel hat. Er erklärt ihm jeden Handgriff und alle Gepflogenheiten des Hauses haarklein. Wir erhalten interessante Einblicke in den Beruf.

Das Hotel liegt ganz in der Nähe des Mainufers, so dass wir nach dem Aufbruch schnell wieder auf dem Mainradweg sind. Wir werfen noch einmal einen Blick hinauf zum Schloss Johannisburg, das hoch über uns aufragt. Ein Einheimischer, der auch mit dem Fahrrad unterwegs ist, spricht uns an und weist uns darauf hin, dass man hier vom Rad absteigen muss. Die meisten Radfahrer übersähen das Hinweisschild. Es folgt eine sehr enge Stelle an einer Felswand vorbei. Wir schieben unsere Räder zusammen mit dem Herrn. Er fragt uns, woher wir kämen. Als er hört, dass wir aus Köln stammen, freut er sich. Er sei mehrmals zu Münzauktionen in Köln gewesen. Oh, er sammele Münzen? Ja, früher. Jetzt sei er Rentner und habe nicht mehr das Geld für dieses Hobby. Aber er verbringe immer noch viel Zeit damit, seine Sammlung zu ordnen. Dann weist uns der Herr auf einen Hang mit Weinreben hin und das berühmte „Pompejanum“, den Nachbau einer Villa aus Pompeji, den König Ludwig I. 1840 erstellen ließ.

Pompejanum, Aschaffenburg

Wir verabschieden uns von dem Briefmarkenliebhaber und radeln gemächlich weiter auf dem etwas holprigen Radweg, dessen Aussicht auf den Main häufig durch wild wachsende Brombeerbüsche verdeckt ist. Für die letzten drei Etappen unserer Radwanderung haben wir kürzere Distanzen von maximal 30 km vorgesehen. Als wir allerdings nach schon 19 km Seligenstadt erreichen mit seiner schon weithin sichtbaren imposanten Basilika aus rotem Mainsandstein, bin ich so entrückt von dieser herrlichen Stadt, dass ich Johannes überrede, hier zu bleiben. Es ist allerdings noch nicht einmal 13:00 Uhr. Aber der gerade einsetzende Nieselregen bestärkt uns in dem Entschluss, nicht weiterzufahren, sondern schon hier ein Zimmer für die Nacht zu buchen.

Auf der Suche nach der Touristeninformation, auf die es wieder einmal keinerlei Hinweise gibt, lernen wir schon die besten Plätze von Seligenstadt kennen. Den Freihofplatz, von dem aus man direkt auf die Basilika mit dem schönen Namen Einhardbasilika schaut und den Marktplatz. Endlich finden wir die Touristeninformation. Vor mir tritt eine ältere Dame ein. Noch ahne ich nicht, welche Geduld mir durch diesen Umstand abverlangt werden wird. Die Dame möchte für sich und ihre Freundin Gisela ein Ticket für eine Veranstaltung kaufen. Die Abwicklung dieses Kaufes erweist sich als unfassbar kompliziert. Aufgrund von Corona müssen alle möglichen persönlichen Daten der beiden Damen aufgenommen werden. Dass Gisela nicht in Seligenstadt wohnt, verkompliziert den Vorgang noch einmal. Dann geht es um die Zahlungsmodalitäten, die wieder neue Fragen und Nachfragen erforderlich machen. Ich bezähme meine Ungeduld mit der ganzen Kraft, die ich aufzubieten habe. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat, bis ich endlich an der Reihe bin. Die Dame an der Rezeption zeigt mir auf dem Stadtplan verschiedene geeignete Hotels und Privatpensionen. Wir entscheiden uns für das Hotel zu den drei Kronen, das am Freihofplatz liegt und Zimmer mit direktem Blick auf die Basilika zu bieten hat.

Hotel zu den drei Kronen, Seligenstadt

Das Hotel befindet sich in einem sehr alten, wunderschön renovierten Fachwerkhaus. Auch der Biergarten, der zum Hotelrestaurant gehört, gefällt und sehr. Ein Kellner geleitet mich quer durch den gediegen eingerichteten Restaurantinnenraum und ein daran anschließendes düsteres Flürchen zu einem kleinen Kabüffchen mit Plexiglasfenster, das sich als die Hotelrezeption entpuppt. Ich wundere mich über die Diskrepanz zwischen der prächtigen Erscheinung dieses Hauses nach außen und diesem traurigen Arbeitsplatz ohne Tageslicht. Zu meiner Überraschung ist der Herr hinter der Scheibe aber sehr fröhlich und überaus freundlich. Er gibt uns sein bestes Zimmer, wie er sagt. Es liegt im ersten Stock und schaut durch zwei Fenster hinaus auf die Basilika und den Klostergarten. Nachdem wir uns dort eingerichtet haben, brechen wir noch einmal zu einem Rundgang durch das Städtchen auf.

Es hat inzwischen wieder aufgehört zu nieseln. Es scheint sogar die Sonne. Wir durchqueren den Biergarten des Hotels und treten gegenüber in den Klostergarten des ehemaligen Benediktinerklosters ein, dessen Gebäude noch vollständig erhalten sind. Der Anblick der liebevoll beschrifteten Beete, die eine unüberschaubare Fülle von Kräutern und Blumen präsentieren, verzaubert uns.

Freilaufende Hühner im Klostergarten von Seligenstadt

Wir schlendern durch die barocke Gartenanlage einmal um die Basilika herum und gelangen wieder an den Main und von dort aus zurück in die Stadt mit ihren einladenden Plätzen und Lokalen. Wir träumen von einem Stück Zwetschgenstreusel in angenehmem Ambiente und werden schon bald fündig. In dem Café „Der süße Löwer“ sitzen wir auf hohen Hockern am Fenster und genießen nicht nur den Kuchen, sondern auch ein Glas Wein.

Den Abend verbringen wir im Restaurant unseres Hotels, dessen Speisekarte mit vielen Fischgerichten uns sehr überzeugt.

Hotelrestaurant „Zu den drei Kronen“ in Seligenstadt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.