Die junge Frau mit der imposanten Flügelhaube thront über dem gesamten Bildarrangement und bildet mit ihm eine kugelförmige Einheit. Das Originalportrait ist an dieses Ensemble wie von außen angeklebt, quasi als Anspielung, als Zitat, als etwas bereits Überwundenes. Holtschneiders junge Frau ist keine vergrößerte Kopie des Originals, wie man zuerst meinen könnte. Bei näherem Hinsehen erscheint sie lebendiger, konkreter. Die Ge-sichtsfarbe ist kräftiger, die Lippen sind voller, das Spiel von Licht und Schatten markiert die Gesichtszüge deutlicher. Die junge Frau wirkt reifer, wissender als das Original. Sie steht nicht mehr nur für sich, entrückt und wie von Ferne den Betrachter anlächelnd. Die neue junge Frau hat eine Aufgabe. Sie ist Hüterin eines Schatzes, der aus ihr hervorzuquellen und den sie zu halten scheint. An Stelle der sittsam übereinandergelegten Hän-de im Original meint man hier eine geöffnete haltende Hand zu erkennen. Die große von vielfarbigen Häuten umschlossene Frucht vor dem Leib der jungen Frau, aus der ein phallusartiger kräftiger Stiel herausragt, deutet Fruchtbarkeit und Wachstum an, Erweiterung des Selbst, Verbindung mit dem männlichen Prinzip. Blass ist an der Oberfläche der Frucht ein zart gezeichnetes weibliches Gesicht zu erkennen. Es trägt keine Haube. Steht es für eine neue Generation, für eine andere Zeit? Oder bringt sich die junge Frau selbst neu hervor bei dem lebendigen Prozess der Verwandlung und Erweiterung? Der pralle Busen der jungen Frau van der Weydens erfährt hier eine Explosion in eine überquellende Fülle des Lebendigen. Es fällt auf, dass auch die junge Frau selbst quasi umarmt wird von einer zwiebelartigen Frucht, die von links mit Nadeln an ihr festgesteckt ist, ähnlich wie die Flügelhaube an ihrem Kopf. Die Haube bindet sie in ihre ge-sellschaftliche Rolle ein, die Zwiebel in ihre weibliche Rolle im Naturprozess der fortwährenden Erweiterung und Erneuerung.

Alice Schopp