Filey, Yorkshire

Clares Sehnsuchtsort Filey

Freitag, den 21. Juli 2023 Clare hat sich für den heutigen Tag einen Ausflug nach Filey für uns ausgedacht. Filey ist ein kleiner Ferienort an der Ostküste von Yorkshire, etwa eineinhalb Autostunden von Wetherby entfernt. Clare hat dort 10 Jahre lang ein Nonneninternat besucht. Sie liebt Filey. Filey sei wie eine Droge für sie. Sie müsse jedes Jahr mindestens einmal dort hinfahren. Sie sei so gerne in Filey zur Schule gegangen. Und es sei so schön dort.

Wir fahren mit Hughs Auto. Obwohl Hugh eine schmerzende Entzündung am Fuß hat, setzt er sich ans Steuer. Den Fuß brauche er gar nicht zum Fahren. Die beiden haben eine ruhige Nebenstrecke über kleine Ortschaften für uns ausgesucht, damit wir die Landschaft die Yorkshire Wolds direkter erleben können, einen Hügelzug, der sich von Hull bis nach Filey ausdehnt. Clare hatte nach ihrem Berufsleben noch Archäologie studiert. Sie berichtet, dass in den Yorkshire Wolds viele wertvolle Funde aus der Jungstein-, der Bronze- und der Eisenzeit sowie aus der Römerzeit gemacht worden seien. Sie liebe dieses Gebiet. Es habe sich tausend Jahre lang fast gar nicht verändert. Clare hat auch selbst an Ausgrabungen teilgenommen, was sie hochinteressant fand. Die Fundstücke sind aufgrund des sehr kalkhaltigen Bodens extrem gut erhalten. Sie war auch bei der Entdeckung mehrerer menschlicher Skelette dabei und war beeindruckt von dem hohen Respekt im Umgang mit den Knochenfunden. Clare schildert uns eindrucksvoll, was für eine Knochenarbeit es ist, bei archäologischen Ausgrabungen mitzuwirken. Sie habe sich abends immer gleich in die Badewanne „geschmissen“. Aber es sei wunderschön gewesen, dabei zu sein.

Wir unterbrechen kurz unsere Fahrt und halten auf einem Berg an, der einen großartigen Ausblick bietet über die Landschaft der Yorkshire Wolds. Clare zeigt auf einen Grabhügel der späten Jungsteinzeit namens Duggelby Howe. Das sei ihre Liebligsausgrabungsstätte. Dort hätte man die Skelette mehrerer Erwachsener und die eines Kindes gefunden sowie Spielsachen aus Kreide. Sie und Hugh wünschen sich, auf diesem Hügel einstmals ihre eigene Asche verstreuen zu lassen.

In Filey angekommen sucht Hugh einen Parkplatz direkt am Strand, wo er Clare, Johannes und mich aussteigen lassen kann für einen Strandspaziergang. Er selbst will sich schon in die Lounge des White Lodge Hotels setzen, wo wir später eine Mahlzeit einnehmen wollen. Beim Einparken streift sein Wagen eine Straßenlaterne, was Hugh überraschend ruhig hinnimmt. Ein Auto sei doch nur ein Transportmittel. Das sei nicht schlimm. Ich bewundere ihn für seine Gelassenheit.

Die nördlichen Klippen von Filey

Es hat angefangen zu nieseln. In weiser Voraussicht haben wir Regencapes mitgenommen, die wir jetzt sofort anlegen. Der Anblick der Bucht von Filey ist atemberaubend. Noch verschleiert der Nieselregen die im Süden liegenden Kreidefelsen. Die im Norden liegenden Klippen mit ihrem langegestreckten Ausläufer ins Meer sind dagegen klar erkennbar. Clare würde am liebsten bis ganz zur Spitze des Ausläufers mit uns wandern. Dafür müsste das Meer allerdings noch weiter zurückgehen. Die Ebbe ist noch nicht an ihrem tiefsten Punkt angelangt.

Strand von Filey

Wir spazieren über den nassen spiegelnden Sand und lassen uns von Clare über ihre Internatszeit erzählen. Von ihrem 8. bis zu ihrem 18. Lebensjahr sei sie hier zur Schule gegangen. Für uns ist das unvorstellbar, so lange von der Familie getrennt gewesen zu sein. Clare aber kann unsere Bedenken gar nicht teilen. Es sei so schön hier gewesen. Vom Internatsgebäude aus hätte man aufs Meer schauen können. Sie seien im Meer geschwommen mit der Schule, am Strand entlang geritten und hätten Gymnastikunterricht am Strand gehabt. Samstags gab es das Angebot eines Malkurses bei der Kunstlehrerin. Das sei eine so schöne und so liebe Nonne gewesen. Auf diese Stunden habe sie sich ganz besonders gefreut. Ich wollte wissen, ob denn das Verhältnis zu den Eltern nicht gelitten hätte durch die seltenen Begegnungen. Nein. Die Beziehung sei ungetrübt gewesen. Wenn sie und ihr Bruder Nigel in den Ferien zu Hause gewesen seien, hätten die Eltern sich ganz ihren Kindern gewidmet. Ich bin beeindruckt von Clares offenbar idealer Kindheit.

Filey, Ferienort an der Nordseeküste von North Yorkshire

Es hat aufgehört zu regnen. Wir begeben uns langsam auf den Rückweg. Auf der Höhe des Gebäudes von Clares ehemaligem Internat, das heute kein Internat mehr beherbergt, verlassen wir den Strand und steigen eine Treppe hinauf. Clare zeigt uns, wo sie als Schülerin überall gespielt hat und wo man sich gut verstecken konnte. Durch einen kleinen Park, der großartige Ausblicke auf die ganze Bucht von Filey bietet, nähern wir uns dem Hotel, in dem Hugh auf uns wartet. Zu unserer Freude erblicken wir ihn schon von Weitem in seiner typischen aufrechten Lesehaltung. Er hat sich mit seiner Daily Telegraph in ein Erkerfenster des White Lodge Hotels gesetzt.

Inzwischen ist es so sonnig und warm geworden, dass wir uns zum Essen ein Tischchen im Restaurantgarten des Hotels aussuchen. Dort lassen wir es uns bei einer Flasche feinen Chardonnay und einem kleinen Zwischengericht gut gehen. Clare weist uns darauf hin, dass es heute Abend noch ein warmes Gericht bei geben wird. Johannes und ich bestellen Cod and Chips, Kabeljau mit Pommes. Es schmeckt uns ganz hervorragend, delicious wie Clare es ausdrückt.

Restaurantterrasse des White Lodge Hotels in Filey

Kaum verlassen wir das Restaurant, beginnt es schon wieder zu regnen. Im Café nebenan lässt man sich davon nicht beirren. Der englische Mensch scheint Kummer gewohnt zu sein. Es werden einfach Regenschirme aufgespannt. Man bleibt aber draußen sitzen.

Caféterrasse in Filey bei Regen

Clare schlendert noch ein wenig durch die Kleinstadt mit uns, bevor wir uns wieder ins Auto setzen und nach Wetherby zurückfahren. Vor allem will sie uns die St Mary’s Roman Catholic Church zeigen, in der die Gottesdienste des Nonneninternats stattgefunden haben.

St Mary’s Roman Catholic Church in Filey

Ein Gedanke zu „Clares Sehnsuchtsort Filey

  1. Wie zauberhaft dicht geschildert, der Leser meint, auf dieser Reise dabei gewesen zu sein … die Menschen „rücken“ einem so nahe, als kenne man sie … ja, und Internatszeit: Nun sie muss nicht traumatisch sein; Clare bestätigt Erlebnisse einer Patentochter von mir, die ihre Internatszeit in der Schweiz liebte, heute um die 30 ist, eine lebensfrohe junge (ja das kann man bei einer 30jährigen sicher noch so sehen) Frau … und die Fotos verströmen eine derartige Verheißung von Weite … wunderbar, man möchte sich aufmachen, und gleich dorthin reisen

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