Mittwoch, den 19. Juli 2023 Nach drei Stunden staufreier Autofahrt von Köln nach Rotterdam erreichen wir den Europoortterminal der P&O-Ferries viel zu früh. In drei Stunden, nämlich um 19:30 Uhr erst legt unsere Fähre ab. Es stehen aber schon einige PKWs und ein Radwanderer in der Wartespur. Wir stellen uns hinten an und steigen aus, um uns mit dem Radler zu unterhalten. Vielleicht weiß er ein wenig über die Verkehrssituation für Fahrräder in England. Der Herr ist sehr erfreut über die Ansprache. Die überaus bemerkenswerte Freundlichkeit der Menschen von Yorkshire lernen wir hier zum ersten Mal kennen. Roger, so heißt unsere neue Bekanntschaft, lebt in Hull. Wir unterhalten uns auf Englisch mit ihm. Er kehrt gerade von einer Radrundreise durch die Niederlande zurück. Das mache er regelmäßig. Die Niederlande seien ein herrliches Paradies für Radfahrer. Das Knotenpunktesystem sei eine so geniale Erfindung. Man könne sich beliebige Rundwege selbst zusammenstellen. Man brauche nur die Nummern der zu passierenden Knotenpunkte zu kennen. Und dann könne man auch noch so preiswert unterkommen. Er zeigt uns sein Verzeichnis von privaten Adressen. Pro Nacht zahle man incl. Frühstück nur 25 Euro.
Ich ahne schon, dass England wohl nicht ein solches Paradies für Radwanderungen darstellt. Ich zeige Roger meine Planungen für eine Rundreise durch Yorkshire. Er äußert sich nicht dazu, ob diese Tour gut machbar ist. Er gibt uns nur ein paar Tipps, was wir auf unserer Reise nicht versäumen sollten anzuschauen. So weist er uns auf die Bempton Cliffs bei Bridlington hin, wo Tausende von Seevögeln beobachtet werden können, die dort in den gewaltigen Kreidefelsen brüten.
Roger mokiert sich über unsere E-Bikes. Er radle ohne Motor. Ich wende ein, wir seien schließlich beide schon über 70. Da antwortet er, er sei bereits 79 Jahre alt. Da bewegt sich plötzlich die Autoschlange und wir verabschieden uns von unserem Freund. „See you later on deck“, ruft er noch und begibt sich zu seinem Rad.
Wir gehören mit zu den ersten, die an Deck der „Pride of Rotterdam“ gelangen. Wir passieren einen Schalter, wo wir lediglich unsere Reisepässe vorzeigen müssen. Man drückt uns unsere pappenen Kabinenschlüssel in die Hand. Wir haben die Kabine 10246 auf Deck 10. Wir werden auf Deck 7 geleitet, wo wir unser Fahrzeug mit den Fahrrädern auf dem Gepäckträger abstellen. Eine der vier Fahrradtaschen habe ich für die Nacht in der Kabine gepackt. Nur diese Tasche und meine Handtasche mit unseren Portemonnaies und dem Reisetagebuch nehmen wir mit. Die drei anderen Fahrradtaschen und der Koffer, den wir für den Aufenthalt bei Clare gepackt haben, bleiben im Kofferraum.
Wir betreten unsere Kabine und Johannes äußert spontan: „Hier kann ich nicht schlafen.“ Ich beruhige ihn und beteure, dass er sicherlich keine Probleme bekommen wird. Wir verlassen die Kabine gleich wieder und erkunden das Schiff. Durch ein geräumiges Treppenhaus steigen wir hinauf bis zum obersten Deck, dem Deck 12. Es gleicht dem Panoramadeck unserer unvergesslichen Hurtigrutenreise. Hier heißt es Skydeck. Wir nehmen an einem der runden Tischchen direkt am Fenster Platz. Ein Kellner kommt gleich und fragt uns nach unseren Wünschen. Wir bestellen zwei kleine Pils vom Fass.
Von mir fällt im Moment alle Nervosität ab. Ich habe mir viele Sorgen gemacht im Vorfeld. Ich bin noch nie im Linksverkehr gefahren. Johannes Erfahrung mit dem Linksfahren sind schon sehr lange her. Mein Bruder Rolf hat mir wertvolle Instruktionen gegeben, wie ich klarkommen kann mit dem Linksverkehr. Ich solle mir wie ein Mantra ständig aufsagen: Ich fahre links! Linke Kurve, kleine Kurve! Rechte Kurve, große Kurve! Momentan bin ich sehr zuversichtlich, das hinzubekommen. Es wäre doch gelacht, wenn ich als Mathematikerin nicht in der Lage wäre, eine so einfache Spiegelung vorzunehmen.