Von Petershagen nach Marklohe (Etappe 7)

Sonntag, der 26.06.2022

Wie schon gestern Abend setzen wir uns auch zum Frühstück wieder draußen unter den großen Laubbäumen an einen der Gartentische. Am Nebentisch sitzt ein jüngeres Paar, mit dem wir ins Gespräch kommen. Sie machen zum ersten Mal einen solchen Fahrradurlaub und haben sich nur drei Tage Zeit dafür genommen. Vorgestern sind sie ein großes Stück mit dem Regionalzug gefahren, weil das Unwetter angekündigt war, das dann allerdings gar nicht eingetroffen ist. Nachdem sie fertig sind mit ihrem Frühstück, bleiben sie noch endlos neben unserem Tisch stehen. Ich wage gar nicht mehr, in mein Brötchen zu beißen. Er vor allem doziert in absolut verblendeter Selbstgerechtigkeit über richtige und falsche Lebenseinstellungen. „Arbeiten“, das sei doch für die meisten ein Schimpfwort. Man müsse doch nur die richtige Einstellung dazu haben. In diesem Sinne spricht er immer weiter. Seine Frau drängt ihn schließlich zum Aufbruch und wir können uns dem wunderbaren Frühstück vom Feinsten widmen, bei dem es sogar einen aus frischem Obst zubereiteten Obstsalat mit Erdbeeren gibt.

Frühstück vom Feisten im Gasthof Bad Hopfenberg

Um 10:30 Uhr fahren wir los. Das ist etwas spät für die ca. 50 km-Fahrt bis Marklohe. Der Weserradweg führt unmittelbar an dem Gasthof vorbei, so dass wir direkt auf dem richtigen Weg sind und sich die gehobene Fahrtenlaune angesichts der herrlichen Landschaft sofort einstellen kann. Nach etwa einer Dreiviertelstunde passieren wir den Badesee Glissen. Auf einer großen Liegewiese lagern und im Wasser tummeln sich schon einige Leute. Es gibt einen richtigen Sandstrand. Sofort weiß ich: Ich muss ins Wasser gehen. Johannes sagt wieder einmal: Nein. Er kann meinen dauernden Badewunsch überhaupt nicht verstehen. Dann gibt er natürlich nach und ist einverstanden mit einem kurzen Stopp. Im Wasser fragt mich ein älteres Paar, warum mein Mann denn nicht ins Wasser käme. Es sei doch so herrlich hier. Ja, das könne ich auch nicht verstehen, musste ich antworten. Als ich wieder an Land und gerade angezogen bin, tauchen Angelika und Christine auf. „Da sind ja unsere Freunde!“ rufen sie. Sie hatten ebenfalls in Petershagen übernachtet. Diesmal halten wir die beiden in einem Foto fest. Ein Herr bietet sich an, ein Bild von uns allen vieren zu machen. Eine schöne Erinnerung! Natürlich werde ich das Bild hier nicht veröffentlichen.

Badesee Glissen am Weserradweg

Wir fahren wieder ab. Die beiden bleiben noch am See. Ob wir uns wohl noch einmal wiederbegegnen werden? Der Radweg führt hier nicht direkt an der Weser entlang. Es geht durch Felder und Wiesen, vorbei an Kiesseen und über einen Schleusenkanal hinüber. In Buchholz, einem kleinen Ort mit einer romanischen Kirche aus dem 13. Jh., passieren wir ein einladendes Gartenlokal. Noch ist es für uns allerdings zu früh, um irgendwo einzukehren.

Café Weserscheune in Buchholz

Der nächsten Orte sind Müsleringen und Schlüsselburg, wo wir eine Reihe von historischen Scheunen passieren. Auch Störche tauchen hier zum ersten Mal auf

Storchennest am Weserradweg (Müsleringen)

In Stolzenau verlassen wir den Radweg für einen Abstecher ins Ortszentrum. Es geht nach links unter einer Unterführung hindurch, hinter der sogleich die Touristeninformation zu finden ist. Sie befindet sich an einem idyllisch gelegenen See. Von einem Stadtzentrum ist nichts zu sehen. Gerade kommt eine Kindergruppe mit Erzieherin an uns vorbei. Wir fragen sie, wo denn das Zentrum von Stolzenau sei. Sie schütteln nur den Kopf und bedeuten uns, sie sprächen nicht Deutsch.

Kindergruppe auf dem Weg nach Stolzenau

Wir schalten das Navi ein und lassen uns in die Innenstadt führen. Sogleich fällt uns dort das imposante Rathaus aus rotem Backstein mit seinem durchbrochenen Treppengiebel ins Auge.

Rathaus von Stolzenau im Stil der Backsteingotik erbaut im Jahr 1884

Wir radeln einmal kreuz und quer durch die Innenstadt und kehren zur zentralen Straße mit dem Rathaus zurück, wo uns ein Eiscafé zur Einkehr lockt. Als wir später Stolzenau wieder verlassen wollen, erleben wir einen Schock, der uns noch lange beschäftigen wird. Wir fahren wieder unter der Unterführung her und merken, dass der Radweg hier gar nicht weitergeht. Wir kehren um und fahren wieder in Richtung Stolzenau. In diesem Moment kommt von links aus einer Nebenstraße ein Auto, das auf unsere Straße in unsere Fahrtrichtung abbiegen will. Ich merke, dass der Fahrer des Wagens keine Anstalten macht, anzuhalten, um uns vorbei zu lassen. Er fährt unbeirrt auf mich zu. Ich schreie laut auf und kann gerade noch an dem Wagen vorbeikommen. In diesem Moment höre ich hinter mir einen dumpfen Aufprall. Der Wagen hat Johannes an der linken Seitentasche touchiert. Zum Glück ist Johannes nicht gestürzt. Wir halten sofort an und steigen ab. Der Fahrer, ein älterer Herr von sicherlich über 80 Jahren, kurbelt nur sein Fenster hinunter und fragt, ob denn etwas passiert sei. Ich bemerke völlig außer mir, dass er gerade meinen Mann angefahren habe. Er wieder: „Aber es ist doch nichts passiert, oder?“ Haben Sie den gar nicht geschaut?, frage ich ihn. Er zeigt in seine beabsichtigte Fahrtrichtung und äußert: „Ich habe nur dorthin geschaut.“ Wir lassen den Vorfall auf sich beruhen und lassen den Herrn seines Weges fahren. Er scheint von der Situation völlig überfordert. Wir aber müssen uns erst einmal von unserem Schock erholen, bevor wir die Fahrt fortsetzen können.

Der Radweg führt bald auf einer langen schnurgeraden Allee an einem Kiessee vorbei, hinter dem auf der anderen Seite des Flusses das Kraftwerk Robert Frank mit seinen 380 kV-Strommasten zu sehen ist. An solch einem Anblick hat Johannes seine besondere Freude.

Kiessee bei Schinna mit Strommasten im Hintergrund

Bei Landesbergen überqueren wir die Weser und fahren auf der rechten Seite weiter. Als wir unter der Weserbrücke hindurchfahren, sehen wir oben auf der Brücke unsere beiden Freundinnen kommen. Eine Weile lang radeln wir zusammen hinter einem Deich weiter, der hier die Weser eindämmt, bis Johannes und ich oben auf dem Deich die perfekte Picknickbank für uns erblicken. Wir winken den beiden zum Abschied, stellen unsere Räder ab und klettern mit unserem Proviant den Deich hinauf. Von hier oben haben wir einen wundervollen Blick auf die Weser und einen ihrer Seitenarme.

Rast auf einer Weserdeichbank bei Landesbergen

Wie schön es hier oben ist und wie still. Wir lauschen dem vielfältigen Vogelgezwitscher, schauen auf das ruhig dahinfließende Wasser und genießen den Geruch der Wildpflanzen, die uns umgeben. Um solche Momente geht es genau. Dazu noch der herzhafte Brötchengenuss mit kleinen Tomätchen vom Frühstückstisch. Besser kann es einem nicht gehen.

Als wir später weiterfahren und durch Estorf kommen, sehen wir unsere Freundinnen mitten im Ort auf einer Bank vor einer Hauswand sitzen und ihr Brötchen essen. Wir bedauern es, sie nicht auf unsere Deichbank eingeladen zu haben.

Unser eigentliches Ziel für heute war Nienburg, die für ihren Spargel bekannte Kreisstadt an der Mittelweser. Aber in ganz Nienburg war nichts mehr frei außer einem Zimmer für 138 Euro. Daraufhin hatten wir das Zimmer in Marklohe reserviert in einem Hotel namens Neuloher Hof, der allerdings relativ weit außerhalb von Marklohe hoch oben auf einem Berg liegt. Wir statten der mittelalaterlichen Altstadt von Nienburg mit ihren vielen sehenswerten Bauwerken der Weserrenaissance einen Besuch ab. Zuerst kommen wir an dem berühmten Spargelbrunnen vorbei. Auf der Suche nach der „Kleinen Nienburgerin“, einer Bronzeskulptur von Marianne Bleeke-Ehredt, die das Mädel aus dem bekannten Volkslied „Ich bin die kleine Nienburgerin“ darstellt, passieren wir die schönen Bauwerke der Altstadt.

Nienburg, Martinskirche hinter Fachwerkhäusern
Spargelbrunnen in Nienburg, dem Spargelzentrum der Mittelweser

Die Stadt ist seltsam leer und ausgestorben. Wir bedauern es nicht mehr, hier kein Zimmer bekommen zu haben. Wir fragen uns nur, wo die vielen Touristen sind, die hier die Unterkünfte belegen. Bis zu unserem Hotel Neuloher Hof sind es nun noch 9 km und wir sind bereits ziemlich erschöpft, obwohl die Strecke heute doch gar nicht so lang ist. Fatalerweise folgen wir nicht bis Marklohe weiter dem Weserradweg. Das Hotel liegt ja etwa 5 km außerhalb von Marklohe und wir glauben, mithilfe des Navis eine Abkürzung zu finden. Das ist auch sicherlich so, allerdings fahren wir jetzt die gesamten 9 km, also etwa eine Dreiviertelstunde lang, entlang stark befahrenen Landstraßen. Die Geräusche zehren stark an unseren Nerven. Wir wissen es wieder einmal sehr zu schätzen, wie schön der Weserradweg angelegt ist, der ganz selten einmal entlang einer Straße verläuft. Es geht ganz allmählich bergauf und das weite Land ist immer spärlicher besiedelt. Wo verschlägt es uns da nur hin? Endlich erblicken wir das große Gebäude, das wie ein Tagungshotel auf uns wirkt. Einsam steht es an einer Straßenkreuzung mitten in der Landschaft, ohne eine Ortschaft weit und breit. Wir werden also vermutlich hier essen müssen heute Abend.

Der einsame Neuloher Hof mitten in der Landschaft (Marklohe)

Wir werden sehr freundlich von einer Empfangsdame begrüßt. Sie zeigt uns auch die von der lauten Straße abgewandte Restaurantterrasse, auf der wir heute Abend speisen können. Unser Zimmer geht ebenfalls nach hinten hinaus und gefällt uns gut. Wir sehen im ganzen Haus keinen anderen Gast. Auch am Abend sitzen wir schließlich ganz alleine auf der schönen Terrasse unter einem großen Schirm, der uns vor dem einsetzenden Sprühregen schützt. Wir fühlen uns sehr wohl hier in dem eleganten Ambiente und bei der exklusiven freundlichen Bewirtung. Wieder einmal genießen wir ein wundervoll mundendes Spargelgericht. Vielleicht der letzte Spargel für dieses Jahr.

„Brunos Leibgericht“ auf der Gartenterrasse des Restaurants Neuloher Hof

2 Gedanken zu „Von Petershagen nach Marklohe (Etappe 7)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.