Von Kassel bis Hann. Münden (Etappe 1)

Heute, am 20. Juni 2022, starten Johannes und ich auf die insgesamt etwa 600 km lange Tour entlang der Weser. Die erste Etappe führt an der Fulda entlang, die sich in Hann. Münden mit der Werra zur Weser vereinigt. Und bei der letzten Etappe von Bremerhaven nach Cuxhaven ist die Weser bereits zu einem Teil der Nordsee geworden. Ob wir die ganze Strecke schaffen, steht noch in den Sternen. Das hängt u.a. von unserer Kondition ab und vom Wetter. Wir haben außer der ersten Übernachtung nichts vorgebucht und schauen von Tag zu Tag, wie weit wir kommen.

Mein Mann Johannes verliert seit etwa zwei Jahren sein Gedächtnis. Er weiß nicht, welches Jahr gerade ist. Er weiß nicht, welcher Tag heute ist. Er weiß nicht, dass wir diese Reise vor uns haben. Vor mehreren Wochen schon habe ich ihm den Vorschlag gemacht, wieder einmal eine Radwanderung zu unternehmen. Er war einverstanden. Ich habe mit ihm die Route abgestimmt, den Abreisetag festgelegt und wir haben gemeinsam Material gekauft zum Weser-Radweg. Seitdem erzähle ich ihm jeden Tag, was wir vorhaben. Er wundert sich jeden Tag darüber, ist aber einverstanden. Er ist auch einverstanden damit, dass ich so offen über sein nachlassendes Gedächtnis und die damit verbundenen Probleme spreche.

Nach einer Serie von herrlichen Sonnentagen erwachen wir heute bei scheußlichem Nieselregen. Wir lassen uns davon nicht beirren und halten an unserem Aufbruch fest. Die vier Satteltaschen haben wir gestern schon gepackt. Heute müssen wir nur noch den Fahrradträger am Auto anbringen, die Räder aufladen und die Taschen in den Kofferraum packen. Das ist bei uns eingespieltem Team eine Sache von wenigen Minuten. Und schon sind wir auf der Autobahn in Richtung Kassel, wo wir nach etwa zwei Stunden gegen 13:00 Uhr eintreffen.

Kassel, Philosophenweg 5

Auf dem kleinen Parkplatz am Philosophenweg, den ich bereits zu Hause bei googlemaps herausgesucht habe, wird gerade ein Stellplatz frei, als wir dort eintreffen. Er ist vom Bahnhof Wilhelmshöhe, wo wir mit dem Zug am Ende der Reise ankommen werden, nur etwa 15 Fahrradminuten entfernt. Wir laden die Räder ab, hängen die Satteltaschen an und klemmen die Lenkradtaschen vorne an die zugehörige Klickvorrichtung. Oben auf diesen Taschen ist eine transparente Deckeltasche für die Fahrradkarte. Wir haben immer wieder gute Erfahrung damit gemacht, unterschiedliche Tourenkarten zu benutzen. So habe ich von bikeline die Karte vorne auf der Tasche und Johannes die Karte von KOMPASS. Leider ist bei beiden Tourenbüchern diese erste Strecke entlang der Fulda nicht enthalten. Es dürfte allerdings nicht so schwer sein, einfach entlang der Fulda in nördliche Richtung zu fahren. Als wir gerade starten wollen, erhalte ich von einer Freundin die Mitteilung, sie sei gerade in Kassel bei der Dokumenta. Als sie erfährt, dass wir zufällig auch gerade in Kassel sind, will sie uns davon überzeugen, unbedingt auch die Dokumenta zu besuchen. Das lehnen wir jedoch ab. So interessant ein Besuch der Kunstmesse auch wäre, wir brennen darauf, jetzt erst einmal die Räder zu besteigen und auf die Strecke zu starten.

Der Nieselregen hat inzwischen aufgehört und wir gelangen mithilfe des Navis schnell durch den Staatspark Karlsaue an die Fulda. Johannes hat plötzlich das Gefühl, sein Hinterreifen habe nicht genug Luft. Wir halten an und müssen feststellen, dass wir vergessen haben, eine Luftpumpe mitzunehmen. Es spazieren gerade zwei Damen vorbei. Die eine schiebt ein Rad. Sie hat zum Glück eine Pumpe dabei und ist sofort bereit, uns zu helfen. Wir stellen die drei Räder auf dem Spazierweg ab und Johannes beginnt, sein Hinterrad aufzupumpen. In diesem Moment erscheinen zwei junge Männer und bleiben interessiert stehen. Sie wollten wissen, ob das eine Installation sei, die wir da gerade inszenierten.

Kassel, Fuldaradweg mit Boot

Die Strecke entlang der Fulda ist durchgehend auf Fahrradwegen zu befahren. Eine schöne Strecke von etwa 40 km, die sich auf der linken Fuldaseite nah am Fluss entlangschlängelt. Als wir uns der Stelle nähern, wo die Fulda und die Werra zusammenfließen, um anschließend die Weser zu sein, begegnen wir schon dem durch das Lied „Ich bin der Doktor Eisenbart“ berühmten Doktor, der ein Wahrzeichen von Hann. Münden darstellt.

Begegnung mit dem Doktor Eisenbart auf dem Fuldaradweg kurz vor Hann. Münden

Unser Hotel in Hannoversch Münden befindet sich direkt gegenüber der St. Aegidienkirche, an der sich der Grabstein des Doktor Eisenbart befindet und wo er auch begraben liegt. Die Kirche ist seit 2006 entwidmet und wird seitdem als Café genutzt. Wir werden morgen früh unser Hotelfrühstück dort einnehmen.

Die Hotelangestellte, die uns in Empfang nimmt, ist seltsam unherzlich und kurz angebunden. Wir werden später feststellen, dass sie nicht die einzige mit dieser Mentalität ist hier in Hann. Münden. Wir fragen sie, ob eigentlich auch die Hannoversch Mündener selbst diese Abkürzung Hann. Münden verwenden. Ja, die Stadt heiße ja offiziell so seit 2006. Das war uns neu.

Später, als wir das Hotel verlassen, um uns die wunderschöne Fachwerkstadt anzuschauen, lernen wir vor dem Hotel einen anderen Radwanderer kennen, der ebenfalls die Weser entlangfahren will. Er ist mit drei anderen Herren unterwegs, die für seinen Geschmack jeden Tag viel zu viele Kilometer fahren. Sie würden mit 35 km/h dahinrasen und jedes Lokal ansteuern, um ein Bier zu trinken. Man sehe gar nichts von der Landschaft auf diese Weise. Wir stimmen ihm zu und erzählen, dass wir im Schnitt etwa 12 km/h fahren und pro Tag in der Regel höchstens 50 km zurücklegen. So mache er das auch, wenn er mit seiner Frau unterwegs sei.

Hann. Münden

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