Von Ochsenfurt bis Karlstadt (Etappe 3 des Main-Radweges)

Am rechten Kopfende des langen Gästetisches im Altstadt-Gästehaus von Ochsenfurt steht schon ein individuelles Frühstück für uns bereit. Unsere aufmerksame Wirtin hatte gestern schon unsere Vorlieben erfragt. Am anderen Ende des Tisches sitzt ein einzelner Herr und beendet gerade sein Frühstück.

Individuelles Frühstück im Altstadtgästehaus in Ochsenfurt

Unsere Wirtin empfiehlt uns, heute bis Karlstadt zu fahren. Sie habe ihre Ausbildung dort absolviert und liebe diese schöne alte Fachwerkstadt. Eigentlich haben wir ausgerechnet, dass wir im Schnitt 36,6 km pro Tag fahren müssen, um pünktlich am 10. Tag der Radwanderung wieder am Auto in Mainz-Hochheim zu sein. Karlstadt bedeutet heute eine Strecke von 47 km. Wir lassen es offen, ob wir wirklich bis dorthin fahren wollen. Es kommt unter anderem darauf an, ob wir wieder solch stürmischen Gegenwind haben wie gestern. Der Himmel ist leicht bewölkt und es ist schon am Morgen schön warm. Trotzdem zieht Johannes lieber seine schwarze Strickjacke über das T-Shirt. Er wird sie im Laufe des Tages noch mehrfach wieder ablegen und wieder anziehen.

Stehpaddler auf dem Main zwischen Ochsenfurt und Würzburg

Die Radstrecke führt fast die ganze Zeit nah am Main entlang. Der asphaltierte Fahrradweg ist so glatt und ohne störende Erhebungen, dass auch viele Inlineskater die Strecke für sich entdeckt haben. Gerade werden wir von einem solchen überholt, der allerdings seine Probleme hat mit den zahlreichen Zweigen, die der gestrige Sturm auf die Fahrbahn geschleudert hat. Die meisten Radwanderer fahren wie wir flussabwärts. Allerdings begegnen wir naturgemäß viel häufiger denjenigen, die uns entgegen kommen. Man nickt sich dann freundlich zu oder sagt einen Gruß. Morgens hören wir ganz oft „Moin, moin“, was uns etwas verwirrt. Wir sind doch hier nicht in Norddeutschland. Von denen, die mit uns fahren, sehen wir einige immer wieder. Eine Dreiergruppe fällt auf. Eine Dame vorneweg mit leichtem Gepäck, dahinter zwei Herren mit dickem Koffer quer über den seitlichen Gepäckträgertaschen, die „Koffergruppe“. Oder „die Unordentlichen“, das Paar mit normalem Rad ohne Motor und vollkommen chaotisch vollgepacktem Gepäckträger. Wir überholen sie ständig, um sie dann, wenn wir unsere Radwanderkarte umblättern müssen, wieder vorbeiziehen zu lassen. Zuletzt hieß es schon von Seiten der Unordentlichen: „Bis bald!“

Café auf dem Unteren Markt in Würzburg

Gegen Mittag erreichen wir Würzburg. Hier wollen wir bei Kaffee und Kuchen eine kleine Mittagspause machen. Auf dem großen Platz vor der Marienkapelle, dem sog. Unteren Markt, finden wir ein ansprechendes Café, das draußen Tische und Stühle unter großen Sonnenschirmen aufgebaut hat. Man bedient sich hier selbst. Johannes holt uns Kaffee und zwei herrliche Stücke Zwetschgenkuchen mit Streuseln. Der Genuss wird allerdings durch Scharen von Wespen ein wenig getrübt. Über eine Toilette verfügt das Café leider nicht. Wir erfahren, dass es im Rathaus eine öffentliche Toilette gibt. Diese zu finden erweist sich dann als nicht so einfach. Schließlich sind wir abfahrbereit und nehmen Kurs auf die Alte Mainbrücke, die wieder solche Nischen besitzt wie die Pont-Neuf. In jeder Nische und entlang der gesamten Brüstung hat ein Weinlokal Stehtische aufgebaut, an denen sich elegante Herrschaften mit einem Glas Wein in Szene setzen. Wir hätten nicht übel Lust, uns dazu zu gesellen. Wir haben allerdings noch 32 km zu fahren, wenn wir wirklich in Karlstadt übernachten wollen. Die fahren sich mit Sicherheit ohne Alkohol im Blut leichter und sicherer.

Szenebrücke von Würzburg

Wir kommen nach 20 km an Zellingen und an Himmelstadt vorbei. Alternativ könnten wir auch hier die Nacht verbringen. Die beiden Orte sind allerdings so klein, dass wir fürchten, bei der Restaurantauswahl zu sehr eingeschränkt zu sein. Wir beschließen bis Karlstadt weiterzufahren, wenn es auch inzwischen schon 16:00 Uhr ist. Gegen halb fünf treffen wir in Karlstadt ein. Über die Mainbrücke gelangen wir zum Oberen Tor, durch das wir in die Altstadt hineinfahren und gleich die Touristeninformation aufsuchen, die vielleicht nicht mehr lange geöffnet hat. Dort erfahren wir, dass kein Hotel und keine Privatpension ein freies Zimmer gemeldet habe. Die Dame an der Rezeption bietet mir an, sie könne aber bei einer Adresse unserer Wahl telefonisch nachfragen. Sie drückt mir eine lange Liste mit Adressen in die Hand. Ich solle doch draußen mit meinem Mann zusammen etwas Passendes für uns aussuchen. Ich bitte sie, uns doch lieber etwas zu empfehlen. Nein, das könne sie nicht, es habe ja niemand ein freies Zimmer gemeldet. Die mangelnde Logik dieser Ansage irritiert mich sehr. Ich wende ein, dass dasselbe doch für jede andere Adresse, die wir aussuchen würden, auch gelte. Daraufhin schlägt sie vor, sie könne ja mal im Schwalbennest nachfragen. Das sei ein Gasthof auf der anderen Mainseite. Ich wende ein, dass die Altstadt aber doch diesseits läge. Dieses Argument schlägt sie mit dem Hinweis in den Wind, man sei doch so schnell über die Brücke gegangen. Und schon telefoniert sie. Das Schwalbennest hat noch ein Zimmer frei. Ich stimme zu, obwohl ich mich unangenehm genötigt fühle. Ich will nicht riskieren, am Ende gar keine Unterkunft in Karlstadt zu finden.

Karlstadt mit der abendsonnendurchleuchteten Karlsburg im Hintergrund

Wir schlendern später tatsächlich über die Brücke hinüber in die Altstadt und verbringen den Abend im Restaurant Zeitlos, bei dem man inmitten der historischen Fachwerkkulisse herrlich draußen sitzen kann. An einem Einzeltisch nebenan sitzt eine ältere Dame mit einem Glas Wein, die just in dem Moment, in dem unser Essen gebracht wird, ein Gespräch mit uns beginnt. Sie hat zwar schon ihre Rechnung beglichen, will sich aber wohl noch ein wenig unterhalten. Wir sind nicht unhöflich und lassen uns darauf ein. Wir erfahren vom Tod ihres Mannes, von dem Sohn in London, der Enkelin in München. Ihre Tochter und die zweite Enkelin verschweigt sie uns zunächst. Erst, als wir fragen, ob die Enkelin in München die Tochter ihres Sohnes aus London sei, erwähnt sie, dass ihr Sohn gar keine Kinder habe. Sie lobt sich selbst für ihre Rüstigkeit und berichtet von ihren vielen Unternehmungen. Für uns interessiert sie sich nicht. Als sie sich schließlich verabschiedet, haben wir unser Essen zur Hälfte aufgegessen.

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