13. Juli. Ich wache um halb sieben auf. Ein letztes Mal ins Fitnessstudio, duschen, Haare waschen. Wir frühstücken heute sehr früh. Um halb zwölf gibt es schon den Mittagstisch. Packen wollen wir nach dem Frühstück. Wir setzen uns an einen Vierertisch, der noch ganz frei ist. Später kommen Bernd und Willi dazu und an den Nachbartisch setzen sich die beiden Damen, mit denen Bernd und Willi oft mittags oder beim Frühstück zusammen gesessen haben. Ulrike, die Dame mit dem roten Haar, die gerne malt und mit der ich auch einmal zusammen im Whirlpool gelegen habe, und ihre Reisebegleiterin, die Achtzigjährige mit dem kurzen weißen Haar. Ich komme mir vor wie in Bernd Buddens Abschlusssong, in dem alle vorher besungenen Figuren als Ensemble noch einmal aufmarschieren. Ich bereite mir ein letztes Mal den ultimativen Obstsalat aus allem, was ich mir habe zusammen suchen können aus den verschiedenen Angeboten am Buffet: Ananas, eine Erdbeere, Johannisbeeren, eine Orangenscheibe, helle und dunkle Weintrauben, Trockenpflaumen, Trockenaprikosen, Haselnüsse, Walnüsse.
Wir packen unsere Koffer und Taschen und bringen sie zum Aufzug auf Deck 3. Den Laptop habe ich in den roten Rucksack gesteckt, den wir immer bei uns haben. Im Panoramaraum ist es sehr voll. Wir finden zwei enge Plätze auf der Bank. Ich schreibe noch schnell die letzten Erlebnisse auf. Jetzt darf kein neues Erlebnis mehr hinzukommen. Draußen tauchen wieder ganz neue Landschaftsbilder auf, raue schroffe Felseninseln liegen wie Tupfer in der grauen Wassermasse, verstreute Häuser säumen den Küstenstreifen. Ich muss noch einmal eine Aufnahme von der Landschaft machen.
Ich gehe an Deck und treffe dort auf Winfried. Ich umarme ihn spontan zum Abschied. Mir fällt auf, dass er zuerst ein wenig zögert. Offenbar ist es in seinen Kreisen nicht so üblich, sich zu umarmen. Wir kommen nach der Umarmung noch ein wenig ins Gespräch. Er erwähnt, Christiane habe ihm erzählt, dass ich Philosophie studiert hätte. Er selbst sei sehr interessiert an Philosophie. Kant, Russel. Er habe die Philosophiegeschichte von Russel gelesen und finde sie sehr gut. Wir verabschieden uns schließlich noch einmal. Diesmal kommt Winfried auf mich zu und nimmt mich in den Arm.
Um halb zwölf gehen wir pünktlich zu Tisch. Eine Warteschlange erstreckt sich bis zu den Fahrstühlen. Sie hatte sich schon gebildet, als die Tür zum Speisesaal noch geschlossen war. Jetzt wird die Tür geöffnet und die Schlange kommt in Bewegung. Mit zwei Türstehern wird heute gearbeitet, die die Bordkarte scannen und den Desinfektionsschaum auf die ausgestreckte Hand portionieren. So kommen wir schnell voran und sitzen schon bald mit unseren lieben Freunden Bernd und Willi am Tisch. Das Abschlussessen besteht noch einmal aus dem herrlichen Lachs, wundervoll auf der Haut gedünstet und mit einer feinen gelben Sauce und Lauchgemüse serviert. Nur die Kartoffeln sind nicht perfekt. Sie sind nicht ganz durchgekocht. Die Jungs frotzeln ein bisschen zum Thema Kartoffeln und ziehen Johannes wegen seiner vehementen Kartoffelabneigung auf. Nach dem Essen verabschieden wir uns in aller Form von den beiden und beteuern, dass wir uns wiedersehen werden. Adressen tauschen wir nicht aus. Michael hat meine E-Mail-Adresse bekommen, weil er mir sein Rentierfoto zusenden will.
Auf der anderen Seite von Deck 4 gibt es einen Aufenthaltsraum mit einem Kaffeeautomaten. Dort begeben wir uns hin und trinken zum Abschluss noch einen Kaffee. Neben mir nimmt der nervige Vogelstimmenmann Platz und spielt in seinem Handy Witzvideos mit lauter Musik ab. Ich nehme keine Notiz von ihm und er hört zum Glück bald wieder auf damit. Ich will noch einmal den Laptop aufladen, damit der Akku während unserer Autofahrt bis Vossevangen noch hält. Zu diesem Zweck begeben wir uns wieder ins obere Deck, wo Steckdosen zur Verfügung stehen. Zur Zeit beschäftigt uns die Frage, wie wir am besten zu unserem Auto kommen, das wir ja weit außerhalb der Stadt bei dem Hotel Edward Grieg stehen gelassen haben. Es soll einen Shuttlebus in die City geben. Ich will mich an der Rezeption danach erkundigen und weil der Fahrstuhl zur Zeit „out of order“ ist, steige ich fünf Treppen hinunter bis zum Schalter auf Deck 3, um dort zu erfahren, dass ich zu diesem Zweck die Ausflugsrezeption auf Deck 7 aufsuchen muss. Dort unten am Fenster sitzt unser Alleinreisender. Er sieht irgendwie traurig aus. Ich verabschiede mich von ihm per Handschlag. Er äußert noch einmal, dass er uns sicherlich zu sehr belästigt habe. Ach was. Es sei uns eine Ehre gewesen, von ihm so ins Vertrauen gezogen worden zu sein.
Ich sitze jetzt wieder bei Johannes in der Panorama-Lounge. Die Ausflugsrezeption auf Deck 7 war leider nicht besetzt gewesen. Wir überlegen, dass wir auch einfach ein Taxi nehmen können zum Hotel. Wir lassen noch einmal unsere Blicke durch die Panoramafenster schweifen und sehen die vorbeigleitenden großen Kreuzfahrtschiffe und das großartige Stadtpanorama von Bergen. Das Schiff legt an. Der Ausgang auf Deck 5 ist geöffnet. Die Gangway, die wir vom Einsteigen schon kennen, ist herangefahren worden an die geöffnete Ausstiegsluke. Die Passagiere von Deck 5 und 6 sind aufgerufen, zuerst auszusteigen. Wir warten noch eine Weile in unseren Sesseln im Panoramaraum bis wir uns erheben und die Treppe nehmen, um auf Deck 5 zu gelangen. Die Schlage der Aussteiger reicht schon bis in Deck 6 hinauf. Ich führe Johannes zum hinteren Treppenhaus, wo keine Schlange ist. Dafür kommt uns dort eine nicht enden wollende Putzkolonne entgegen. Wir können trotzdem hinuntergehen bis auf Deck 5, wo wir schon wieder auf Menschenschlangen stoßen, die sich in beiden Kabinengängen stauen. Ich ziehe Johannes hinter mir her auf das Außendeck. Von dort gelangen wir ohne weitere Behinderungen direkt in die Gangway. Johannes will mir nicht so recht folgen, weil er glaubt, dass wir innen noch erst hätten auschecken müssen. Ein Herr sagt uns aber, dass im Terminalgebäude ausgecheckt wird. Also reihen wir uns in den Strom der Schiffspassagiere. Zum Auschecken zeigen wir noch ein letztes Mal unsere Bordkarte vor und betreten den Bergener Hurtigruten-Terminal. Wir kommen an einer Toilette vorbei. Die Frau mit dem Stirnband kommt gerade heraus. Ich gehe schnell hinein. Vermutlich wird es eine Weile dauern bis wir nochmal auf Toiletten treffen. Eine der vier Toilettentüren steht weit offen. Intuitiv wähle ich sie. Mit dem ersten Blick sehe ich das Handy auf dem Clorollenhalter. Ich greife es, renne hinaus und rufe mit dem Gedanken, dass das Handy bestimmt der Stirnbandfrau gehört, hinter den fortströmenden Leuten her: „Jemand hat sein Handy auf der Toilette liegen lassen.“ Die Stirnbandfrau schreit auf und ruft: „Ich wusste, dass ich das irgendwann mal auf der Toilette liegen lasse.“ Sie holt sich das Handy ab und bedankt sich herzlich.
Das Warten auf unsere Koffer und Taschen dauert furchtbar lange. Vor dem Terminal stehen einige Taxen bereit. Wir sprechen gezielt einen Fahrer an und handeln einen Festpreis für die Fahrt zum Hotel Edward Grieg aus: 450 NK. Es dauert etwa 25 Minuten bis wir vor dem Hotel vorfahren. Wir holen an der Rezeption den Zweitschlüssel des Autos ab, suchen lange in allen unseren Taschen nach dem Erstschlüssel und finden ihn schließlich. Der Wagen springt gleich ohne Probleme an. Und schon begeben wir uns auf den Weg nach Vossevangen.