7. Tag, Di 11.6.19: Puno – Titicacasee – Puno
Heute unternehmen Sie einen Ausflug zu dem größten Süßwassersee Südamerikas. Sie werden am Hotel abgeholt, fahren zum Ufer des Titicacasees (ca.3.950 m) und unternehmen eine Bootsfahrt zur Taquille-Insel und den schwimmenden Schilfinseln des Urvolkes der Uros. Erfahren Sie mehr über das Leben der Dorfgemeinschaft und bestaunen Sie die eindrucksvolle Landschaft. Zur Stärkung haben wir Ihnen ein Mittagessen in einer Lunch-Box zusammengestellt.
Übernachtung im 3-Sterne-Hotel Xima Puno in Puno
Schon früh bringt uns ein Bus zum Hafen des Titicacasees. Mit einem großen Boot, in dem wir wie in einem Bus sitzen, fahren wir zu den schwimmenden Inseln der Uru, einem alten Volk, das älter ist als die Inka. Unsere neue Reiseleiterin heißt Nelly. Sie erklärt uns, dass Puno 125.000 Einwohner hat und 3800 m hoch liegt. Puno sei Grenzstadt zwischen den Quechua und den Aymara. Hier träfen zwei völlig unterschiedliche Kulturen aufeinander. Vor vielen Jahren habe es Krieg zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen gegeben, inzwischen lebten sie jedoch sehr gut zusammen und mischten sich auch. Unsere Reiseleiterin selbst ist dafür ein Beispiel. Sie sagt, die Quechua seien eher schüchterne und geduldige Menschen, wohingegen die Aymara stolz seien und kriegerisch. Man könne die Aymara an ihren runden Gesichtern und den Schlitzaugen erkennen. Sie seien auch sehr klein. Die Uru, die die schwimmenden Inseln bauen und auf dem Wasser leben, sprechen Aymara. Nelly beherrscht diese Sprache, weil ihr Vater Aymara ist.

Die Urus ernähren sich von Blesshühnern und Fisch. In Puno-Stadt versorgen sie sich mit Kartoffeln und anderen Agrarprodukten, die sie im Tausch für ihre Fische erhalten. Immer wieder zwischendurch lutschen oder kauen sie auf dem Mark der Wurzel der Totorabinsen. Sie ziehen einfach am Rande ihrer Insel einen Schilfhalm heraus, brechen ihn unten an der Wurzel durch, schälen ihn und knabbern an dem inneren Mark der Wurzel. Das hilft gegen verschiedene Krankheiten. Die Urus kennen z.B. keinen Krebs.
Die Kinder der Urus gehen ein Jahr lang in den Kindergarten. Der ist ebenfalls auf einer Schilfinsel errichtet worden genauso wie die Grundschule. Erst wenn die Kinder zur Sekundarschule gehen müssen, besuchen sie eine Schule in Puno-Stadt. Die jungen Leute wollen heute oft nicht mehr auf der schwimmenden Insel wohnen bleiben, wenn sie die Schule abgeschlossen haben. Einige von ihnen studieren sogar.
Eine schwimmende Insel hält nur etwa 20 Jahre. Danach muss eine neue Insel gebaut werden. Die Inseln können jederzeit ablegen und sich woanders verankern, wenn ihnen z.B. der Nachbar nicht mehr gefällt. Damals als die Inka hierher kamen, haben die Urus angefangen auf dem Wasser zu leben. So konnten sie sich vor den Angriffen der Inka zurückziehen ins tiefere Gewässer.

Durch den Tourismus ist zum ersten Mal das Geld in die Welt der Urus eingedrungen. Vorher gab es nur Tausch von Ware. Heute verkaufen die Urus Decken und Teppiche oder kleine aus Schilf gebastelte Souvenirs. Der Papa unserer Familie zeigt stolz ein wunderschönes Mobile hoch, das er selbst hergestellt hat. Es zeigt eine Hochzeitsfeier mit Brautpaar in der Mitte, das von den Hochzeitsgästen umkreist wird. Alle befinden sich auf kleinen Booten. Ich bin sehr entzückt von diesem Mobile und kaufe eins. Wenn wir nämlich von der Reise zurückkehren, sind wir auf der Hochzeitsfeier meiner Nichte eingeladen. Mit diesem Mobile habe ich ein wundervoll originelles Mitbringsel.
Mit dem eingenommenen Geld können sich die Urus z.B. eine Solarzelle für Licht zulegen oder Plastikplanen, um ihre Dächer dichter zu machen. Manche kaufen sich sogar ein kleines Motorboot. Die meisten Familien bauen sich ein kleines Binsenboot, manche ein großes Boot mit zwei bananenförmigen Kufen und einem hohen zweigeschossigen Aufbau für Passagiere. Das kleine Boot bezeichnen sie humorvoll als Volkswagen, das große als Mercedes Bens. Mit diesem großen Boot werden wir zu einer großen schwimmenden Insel gefahren, wo wir unsere Fahrt mit unserem eigenen Motorboot fortsetzen.

Etwa eineinhalb Stunden lang tuckern wir quer über den riesigen Titicacasee, der 16 mal so groß ist wie der Bodensee. Dann erreichen wir die Insel Taquile. Hier leben etwa 1700 Einwohner. Ihre Sprache ist Quechua. Wir gehen an Land und staunen über die grünen gestuften Hügel mit ihren vielen hohen Baumgruppen aus Eukalyptusbäumen. Eine unglaublich schöne Landschaft. Ein schmaler asphaltierter Weg führt steil bergan. Wir bewegen wegen der Höhe uns ganz langsam. Immer wieder muss eine von uns stehen bleiben und wieder zu Atem kommen. Auf dem ersten Zwischenplateau erwartet uns der Bürgermeister von Taquile und begrüßt uns in Quechua. Er trägt des berühmten breiten gewebten Gürtel, von dem uns Nelly schon im Boot erzählt hatte. Vor der Heirat müssen die jungen Frauen ihrem Zukünftigen einen solchen Gürtel weben, den er fortan mit Stolz trägt. Die Handarbeit der Quechua-Männer ist das Stricken. Je mehr ein Mann strickt, desto größer sind seine Chancen bei den Frauen. Sie perfektionieren ihre Kunst vom 5. Lebensjahr an immer weiter bis sie schließlich in der Lage sind, in eine einzige Mütze 200 kleine Figuren hinein zu stricken. Zwei Monate arbeiten sie an einer solchen Mütze. Bei der Hochzeit werden auf Taquile nicht Ringe getauscht, sondern Textilien.
Verliebt sich ein Paar ineinander, wird nicht gleich geheiratet. Die Kultur der Taquileños verlangt, dass die beiden Verliebten zusammenziehen und drei bis fünf Jahre zusammen leben. Danach erst wird die Hochzeit gefeiert. Sollte sich in den Jahren des Zusammenlebens herausstellen, dass die Beziehung nicht funktioniert, gehen die Paare wieder auseinander. Oft werden aber schon Kinder geboren in der Testphase der Beziehung. Dann zieht die Frau mit den Kindern wieder zu ihren Eltern, während der Mann fortgeht und sich eine neue Partnerin sucht. Die Frau bleibt den Rest ihres Lebens bei den Eltern. Sie kann nicht noch einmal eine Beziehung eingehen.
Wir steigen noch weiter hoch auf dem gewundenen Weg. Autos gibt es auf der Insel nicht, auch keine Fahrräder oder Lamas oder Alpacas. Alle Wege werden zu Fuß zurückgelegt. Die Taquileños sind sehr sportlich. Sie sind groß und schlank, nicht dick wie die Urus. Die meisten von ihnen sind Bauern. Es gibt keine Maschinen, die bei der Feldarbeit helfen aber es gibt Kühe, die von den Bauern auf den Feldern eingespannt werden.
Wir erreichen den Hof der Familie, bei der wir heute zu Mittag speisen werden. Auf Taquile ist es nicht so, dass die jungen Leute unbedingt weggehen wollen. Durch den Tourismus gibt es hier eine vielversprechende Entwicklung, in die sich die Jungen mit Engagement und neuen Ideen einbringen. Wenn eine solche Reisegruppe zum Essen angemeldet ist, helfen die Kinder ihren Eltern und kochen mit ihnen gemeinsam und bedienen die Gäste. Nach dem Essen führt die ganze Familie Tänze auf zur Unterhaltung der Fremden.

Für uns ist im ersten Stock des Hauses eine lange Tafel aufgebaut worden. Sie ist mit einer der inseltypischen gewebten Decken und schönen Keramiken gedeckt. Die Mahlzeit aus einer überaus schmackhaften Gemüsesuppe als Vorspeise und einer gegrillten Forelle mit Reis, Kartoffeln und Gemüse als Hauptgericht schmeckt uns vorzüglich. Wir schauen aus großen Fenstern hinaus auf die terrassierten grünen Hügel und auf den tiefblauen See unter dem wolkenlosen Himmel. Wir fühlen uns alle wie im Paradies. Eine Mitreisende aus Berlin namens Doris kann so wunderschön schwärmen. Sie bricht immer wieder in Begeisterungsstürme aus: „Ist das nicht schön hier auf der Insel?“ Wir können nur zustimmen.
Nach dem Essen wandern die meisten von uns noch zwei Kilometer weit auf die andere Seite der Insel. Einige, denen die Höhe sehr zu schaffen macht, kehren schon zum Schiff zurück und fahren mit unserem Kapitän Juan zu der Anlegestelle, bei der wir später einsteigen werden. Der Wanderweg über die Insel ist wunderschön. Immer wieder eröffnen sich neue Aussichten, auf malerisch im Hügel liegende Bauernhöfe oder auf hoch im Steilhang aufragende Eukalyptusbäume oder auf den tief unter uns liegenden glatten Wasserspiegel des Sees. An einer Stelle neben dem Weg sehen wir drei kleine Gräber mit weißen Kreuzen. Nelly erklärt uns, dass die Toten der Insel eigentlich auf dem Festland beerdigt werden. Dies hier seien die Gräber von totgeborenen Kindern. Neben mir gehen gerade Lore und Hans, ein sehr sympathisches Ehepaar, mit dem wir bei den Abendmahlzeiten fast immer zusammensitzen. Hans äußert sich sehr mitfühlend über das Schicksal der Familien, die ein Kind verloren haben. Ich vertraue den beiden an, dass ich auch ein Kind verloren habe. Lore schaut mich mit ihrem ganz lieben Blick an, für den ich sie sehr schätze, und vertraut mir ihrerseits an, die sie zwei Fehlgeburten gehabt hat. Das Laufen strengt uns allerdings sehr an, obwohl der Weg in der Höhe ganz flach ist.

Die Rückfahrt nach Puno dauert etwa zwei Stunden. Wir sinken erschöpft in unsere Sitze und halten eine kleine Siesta. Später klettere ich mit Johannes auf das obere Schiffsdeck hinauf. Wir setzen uns einander gegenüber auf zwei kleine Holzbänke und lassen die kargen Hügel mit ihren kleinen Häuseransammlungen am Ufer, die uns an unsere Norwegenreise aus dem letzten Jahr erinnert, an uns vorüberziehen. Wir nehmen ein Video für meine Nichte auf, das ihr zeigen soll, wo wir das Hochzeitsmobile für sie gekauft haben.
Zurück im Hafen von Puno fahren Johannes und ich nicht mit dem Bus zurück zum Hotel, sondern wir nehmen uns ein Taxi zum plaza de armas, um uns dort an einem Bankautomaten Nachschub an Soles zu besorgen. Jeden Tag geben wir eine Menge Bargeld für Souvenirs uns Trinkgelder aus, sodass unsere ersten 500 Soles, die wir in Lima gezogen haben, schon verbraucht sind. Das Taxi quält sich durch den dichten Verkehr bis genau vor eine Bank. Der Fahrer lässt und aussteigen und bittet uns, genau an derselben Stelle in 10 Minuten wieder zu stehen. Dann fährt er weiter in dem Strom des dichten Verkehrs. Wir müssen noch nichts zahlen. Das Vertrauen finden wir bemerkenswert. Die Prozedur am Bankautomaten ist kompliziert. Ein Student, der hinter uns in der Warteschlange steht, hilft uns sehr freundlich. Wir müssen nicht lange warten am Straßenrand bis wir unser Taxi mit dem Kondor kommen sehen. Wir steigen ein und fahren kreuz und quer durch die interessante Stadt am Hang. Überall sehen wir steile Treppen in die oberen Wohnbezirke hinaufführen. Nach einer Viertelstunde erreichen wir unser Hotel. Die ganze Fahrt kostet uns nur 15 Soles (etwa 4 Euro).
Für das Abendessen der 12 Halbpensionsgäste ist heute wieder einmal eine lange Tafel aufgebaut worden. Gestern saßen wir an zwei Sechsertischen. Zum ersten Mal haben wir heute auch die Möglichkeit, zwischen zwei Menüs zu wählen. Wir genießen die gemeinsame Mahlzeit in angeregten Gesprächen und gehen dann früh ins Bett. Morgen früh reisen wir schon um 6:00 Uhr weiter.