Mit den Rädern über den See

Von unserem Seebalkon in Überlingen aus schauen wir auf zwei Ortschaften am gegenüberliegenden Ufer des Überlinger Sees. Links der größere Ort heißt Dingelsdorf, ein paar Kilometer weiter rechts liegt Wallhausen. Sie gehören zur Halbinsel „Bodanrück“, die den sog. „Untersee“ vom Überlinger See trennt. Der bewaldete Höhenzug des Bodanrück erhebt sich bis zu 300 m über das Bodenseeniveau. Das Gebiet rechts von Wallhausen haben wir schon in anderen Urlauben erforscht. Dort gibt es spektakuläre Schluchten wie die Marienschlucht, die sich etwa 100 m tief in das Molassegestein eingegraben hat. Für heute haben wir eine Radwanderung mit den E-Bikes geplant, die uns um die Südspitze der Halbinsel nach Konstanz führen soll, dann ein Stück entlang des Unterseeufers vorbei an der Insel Reichenau und quer über den Bodanrück wieder zurück nach Wallhausen.

Wallhausen von Überlingen aus gesehen

Von Überlingen aus gelangt man innerhalb von 15 Minuten mit der Fähre nach Wallhausen. Die Fähre verkehrt stündlich. Als wir etwa gegen halb zwölf mit unseren Rädern am Anleger eintreffen, sehen wir schon eine relativ lange Schlange aus Radfahrern und Fußgängern auf den Einstieg warten. Wir haben Glück. Die Fähre hat gerade angelegt. Zuerst steigen die Fahrgäste, die von Wallhausen kommen, aus. Dann bewegen wir uns langsam an Deck. Die Räder werden uns am Eingang abgenommen und professionell an dafür vorgesehen Haltevorrichtungen aufgestellt. Wir begeben uns ganz nach oben auf das Außendeck, um bei der Überfahrt die Sonne, die heute ausnahmsweise einmal scheint, zu genießen. Den Fahrpreis von 12 Euro pro Person entrichtet man an einen Schaffner, der während der Überfahrt von Fahrgast zu Fahrgast geht. Überlingen bietet vom Wasser aus gesehen einen malerischen Anblick mit seinen vielen hintereinandergeschachtelten roten Dächern, die sich weit den Berg hochziehen, und dem markanten Turm seines Münsters. Während wir uns immer weiter entfernen, zeigt es sich uns mehr und mehr als Ganzes. Wir staunen, wie weit sich die Bebauung nach links ausdehnt.

Überlingen im Hintergrund

In Wallhausen angekommen machen wir uns gleich auf den Weg. Zunächst folgen wir dem großen Bodenseeradweg mit seinem blauen kreisförmigen Symbol. Er führt auf flachem Weg vorbei an blühenden Wildwiesen immer am Ufer des Sees entlang. Schon nach kurzer Zeit erreichen wir Dingelsdorf. Genauso wie Wallhausen wirkt der Ort ein wenig verschlafen auf uns. Ganz anders als auf der Überlinger Seite fehlen hier touristische Attraktionen wie Plätze am See, die mit Bänken zum Verweilen einladen, oder Flanierpromenaden mit Cafés. Wir radeln hindurch ohne uns aufzuhalten. Kurz danach erblicken wir durch ein kleines Blätterfenster die Birnau am anderen Ufer. Es kommt uns vor, als hätten wir im Zeitraffer die 5 km-Distanz zwischen Überlingen und der Birnau durchmesssen.

Die Birnau vom Bodanrück aus gesehen

Wir durchfahren eine lange Allee aus Birken. Wie bei jeder Allee muss ich anhalten und die von Bäumen gesäumte Straße im Bild festhalten. Was ist es nur, das mich so anzieht und beglückt beim Anblick einer Allee? Vielleicht ist es der gelungene Versuch, die urwüchsige Natur und den ordnenden menschlichen Verstand in einen Einklang zu bringen. Die Äquidistanz der einzelnen Bäume und die Parallelität und Symmetrie der beiden Baumreihen bilden ein faszinierendes Muster, dessen Sog noch verstärkt wird durch den perspektivischen Eindruck, sie würden in der Ferne zusammenlaufen.

Birkenallee bei Mainau

Bald passieren wir die Insel Mainau. Es führt eine Brücke hinüber zu der berühmten Blumeninsel. An ihrem Eingang schon sind diverse Verkaufsstände mit Pflanzen und Andenken aufgebaut. Ein Riesentouristenrummel. Auf dem zugehörigen Parkplatz stehen zahllose Busse und PKWs. All das lassen wir schnell hinter uns und gleiten in hohem Tempo mit unseren potenten Fahrzeugen vorbei. Die Strecke gefällt uns überaus gut. Auf glatter Asphaltdecke führt sie durch Wiesen und kleine Wälder bis die ersten Häuser der Stadt Konstanz auftauchen. Wir folgen unbeirrt dem blauen Symbol durch das Gewirr der Straßen und landen schließlich an der platanengesäumten Uferpromenade des Konstanzer Trichters. Wieder muss ich von Rad steigen und den faszinierenden Anblick der in gerader Reihe stehenden noch blattlosen knorrigen Platanen fotografieren.

Platanen am Konstanzer Trichter

Wir setzen uns auf eine der Uferbänke und lassen uns unseren Proviant schmecken. Die weite vom Sonnenlicht gleißende Wasserfläche vor uns wimmelt von Schwänen, die fortwährend ihre langen Hälse ins Wasser stecken und ihr gesamtes Unterteil in die Höhe recken. Die Beine strampeln hoch oben fast hilflos wirkend in der Luft. Wir staunen, wie weiß die wunderschönen Tiere auch noch von ihrer in Normalstellung verborgenen Seite aussehen. Ein Schwan kommt von oben herabgeflogen und setzt mit elegantem Abbremsmanöver auf dem Wasser auf. Dann richtet er aufwendig sein Gefieder her, indem er die Flügel luftig aufbauscht und mit dem Schnabel zurechtzupft. Die Füße baumeln ihm hinten zwischen den Federn heraus. Er lässt sich treiben. Im Gegensatz zu den anderen, die offensichtlich nur um ihr Fressen kreisen, wirkt er erhaben und frei.

Wir setzen die Fahrt fort. Konstanz wollen wir nur einen kurzen Besuch abstatten, um einen Kaffee zu trinken. Der Radweg ins Zentrum ist auch wieder sehr gut ausgeschildert. Wir bewundern das gut durchdachte Radwegenetz in der Stadt. Überall sind klar markierte Spuren für die beiden Fahrtrichtungen aufgebracht, so dass man weder mit dem Gegenverkehr, noch mit den Fußgängern kollidieren kann. Wir kehren am Fischmarkt in die Brasserie Chez Léon ein und genießen unter Palmen einen Cappuccino. Dazu haben wir uns jeder ein Kuchenstück ausgewählt, das leider viel zu süß schmeckt.

Der nächste Streckenabschnitt hat einen ganz anderen Charakter als alle bisher gefahrenen Wege. Schnurgerade führt ein breiter Asphaltweg an einer Bahnlinie entlang. Die Landschaft fliegt nur so an uns vorüber. Im Nu schon sehen wir links die Insel Reichenau liegen und bald taucht das Kloster Hegne auf der rechten Seite auf. Hier müssen wir nach unseren Recherchen rechts vom Bodenseeweg abbiegen und den Bodanrück hinauffahren. Endlich erfahren wir die entscheidenden Vorteile des E-Bikes. Der Radweg führt durch Wald und Feld steil bergauf. Ganz oben auf dem Hügelkamm kommen wir aus dem Wald wieder heraus. Von nun an geht es fast nur noch bergab. Mit rasender Geschwindigkeit biegen wir in die Uferstraße von Wallhausen ein und sehen schon am Landesteg die Fähre liegen. Wieder einmal kommen wir auf die Minute genau passend an. Die Schlange der Fahrräder hat sich schon zum Einsteigen in Bewegung gesetzt. Wir schließen uns hinten an und finden uns umgehend oben auf dem Außendeck wieder. Fast ganz alleine sitzen wir hier oben in der Abendsonne. Wir lassen die Blicke über das Wasser schweifen zum gegenüberliegenden Ufer mit unserem geliebten Überlingen. Da taucht eine Gruppe halbwüchsiger Jungs auf und aus ist der Traum einer beschaulichen Überfahrt. Sie lümmeln sich auf den Bänken und dreschen überlaute Sprüche. Was für ein Gegensatz zu den feinen Überlinger Gymnasiasten, die wir auf unserem ersten Spaziergang getroffen haben. Beim Aussteigen erfahren wir, dass sich die Kinder auf Klassenfahrt befinden und in der Jugendherberge in Nußdorf wohnen. Ich kann mich gut hineinversetzen in die Kinder. Eine solche Fahrt ist anstrengend für die Psyche. Es geht ständig darum, sich zu behaupten, sich zu positionieren.

Jungs auf Klassenfahrt in Überlingen

Zurück auf unserem Seebalkon sehen und hören wir die Schulklasse lautstark vorüberziehen. Ein Lehrer und eine Lehrerin schlendern ins Gespräch vertieft hinter ihren lärmenden Rabauken her. Auch für sie ist eine solche Fahrt anstrengend.  

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