Noch einmal Girne / Kyrenia

Seepromenade von Girne

Den letzten Tag unserer Studienreise wollen wir noch einmal der Stadt Girne/Kyrenia widmen. Diesmal wandern wir nicht zu Fuß vom Hotel zur Altstadt, sondern lassen uns vom Shuttlebus fahren. In der Altstadt angekommen schlendern wir zuerst noch einmal durch den alten Hafen bis zur palmengesäumten Seepromenade mit ihren vielen Tauben. Hier hatten wir lange gesessen bei unserem ersten Ausflug in die Altstadt. Wir laufen bis ans Ende der Promenade und tauchen dann ein in das Straßengewirr der Altstadt. Auch hier sind wir schon überall entlang gegangen. Auf einem kleinen Platz setzen wir uns auf eine schattige Bank und studieren unsere beiden Reiseführer, um zu schauen, welche Sehenswürdigkeiten es noch gibt in Kyrenia. Wieder einmal müssen wir an Georg denken, Johannes ehemaligen Geigenlehrer, der dringend empfiehlt, beim Besuch einer fremden Stadt nicht ihre touristischen Attraktionen abzuarbeiten, sondern einfach nur dort zu sein. Das pure Sein in der fremden Umgebung bei gleichzeitigem Bewusstsein dieses Seins in der Fremde. Das sei das wahre Erlebnis. Wir haben uns inspirieren lassen von seiner Empfehlung und geben ihm im Grunde recht. Wir wollen auch nur eine einzige kleine Sehenswürdigkeit anschauen und uns danach ein schönes Restaurant für das Mittagessen suchen. Und da finden wir auch schon etwas im Merian live: Fanus. Ein Geschenke-Shop wie aus 1001 Nacht, der magische Lampen anbietet und Keramik aus der Türkei, Kilim-Taschen und handgearbeitete Teppiche. Die Adresse lautet: Canulat Sokak 32 c. Im Stadtplan sehen wir, dass der Laden sich in der Nähe des Hafens befindet. Es ist von hier aus nicht weit bis dorthin. In wenigen Minuten haben wir die Adresse erreicht. Schon das Schaufenster voller zauberhafter Hängelampen übt einen 1001-Nacht-mäßigen Bann aus. Ich sage zu Johannes: „Lass uns hineingehen.“

Fanus. Magische Lampen.

Wir treten ein und wundern uns, dass niemand erscheint, um uns zum Kaufen zu animieren. Das sind wir in Zypern gar nicht gewohnt. Wir lassen unsere Blicke schweifen über die abertausend leuchtenden Glasmosaiklampen in verschiedenen Farben und Formen, die den Raum in ein zauberhaftes Licht tauchen. Plötzlich hören wir aus dem Ladenhintergrund die deutschen Worte: „Schauen Sie sich alles in Ruhe an. Und entdecken Sie auch den zweiten Ausstellungsraum nebenan.“ Hinter einer Ladentheke sitzt ein sympathischer Herr und lächelt uns an. Wir hatten ihn überhaupt nicht bemerkt bisher. Wir fragen ihn, woher er denn gewusst habe, dass wir Deutsche sind. Er antwortet, er habe mich am Eingang sagen hören „Lass uns hineingehen“.

Wir lernen einen höchst angenehmen, feinen Menschen voller Mitteilungsfreude kennen. Es platzt geradezu aus ihm heraus, dass er gerade vor zwei Tagen ein Haus gekauft habe. Die Türen seien noch verpackt in Plastik. Wir fragen ihn, wie es komme, dass er so gut Deutsch spreche. Er antwortet, er sei in Deutschland geboren worden, in Gladbeck. Aufgewachsen sei  er in Gelsenkirchen. Seit 2004 lebe er auf Zypern. 2005 sei er bei einem Aufenthalt in Istanbul seiner zukünftigen Frau begegnet, die dort lebte. Er sei schon 38 Jahre alt gewesen zu diesem Zeitpunkt. Im April seien sie sich begegnet, im Juni hätten sie sich verlobt und im September schon habe die Hochzeit stattgefunden. „Der Topf ist rund und hat seinen Deckel gefunden.“ Er strahlt bei diesem Satz. Zuerst sei es für seine Frau eine große Umstellung gewesen, aus der Großstadt nach Zypern zu ziehen. Jetzt aber wolle sie gar nicht mehr nach Istanbul zurück. Sie sei sehr glücklich hier und auch er sei sehr glücklich mit ihr.

Sein Haus habe drei Etagen. Von der Dachterrasse aus könne man das Meer sehen. Im nächsten Monat würden sie dort einziehen. Er träume schon davon, abends nach der Arbeit in seinem Laden mit seiner Frau dort oben zu sitzen und aufs Meer zu schauen. Er zeigt uns den Tilgungsplan für das Haus, der in 120 Zeilen alle Abzahlungsraten aufweist. „Nur 10 Jahre“, staunen wir und wir erwähnen, dass man in Deutschlang 30 bis 40 Jahre an einen Haus abbezahle. Unser Freund heißt „Tayfun“. Er bittet uns, ihn bei seinem Vornamen zu nennen. Auch wir stellen uns mit unseren Vornamen vor.

Fanus, Schätze aus 1001 Nacht

Wir bedanken uns herzlich bei Tayfun für die interessante Geschichte, die er uns erzählt hat. Dann lassen wir uns von ihm durch den herrlichen Laden führen mit seinen unermesslichen Schätzen. Ich wünschte, ich könnte zum Andenken an die Zypernreise eine von den prächtigen Lampen mitnehmen. Aber wie soll man so ein großes zerbrechliches Objekt transportieren? Das sei gar kein Problem, heißt es. Er wolle uns die Lampe schon so verpacken, dass wir sie heil nach Hause bringen könnten. Ich wähle eine Tischlampe aus, die mit einer Batterie betrieben wird. Ich stelle mir vor, wie wir zu Hause mit ihr auf unserer Terrasse sitzen werden und dabei an Tayfun und seine Frau denken, die vielleicht auch gerade den Feierabend auf ihrer Terrasse genießen.

Reiseandenken aus Zypern

Zum Abschied empfiehlt uns Tayfun noch ein gutes Restaurant für das Mittagessen, das Fischrestaurant „Lagoon“. Wir verabschieden uns sehr herzlich und bedanken uns bei unserem Geschichtenerzähler aus Tausendundeiner Nacht für seine wunderbare Geschichte.

Das Fischrestaurant ist nicht weit entfernt von dem Geschenkeschop der magischen Lampen und fliegenden Teppiche. Es liegt direkt am Meer und erstreckt sich über zwei Etagen. Wir begeben uns in die obere Etage und wählen einen Platz am Fenster, von dem aus wir einen großartigen Blick aufs Meer haben. Wir bestellen beide eine ganze Dorade und ein Glas Wein zur Feier unseres Abschiedstages von Zypern. Das Essen schmeckt vorzüglich und die Bedienung ist überaus freundlich und zuvorkommend. Das Tischgespräch dreht sich ganz und gar um den sympathischen Tayfun und seine Geschichte. Dabei fällt uns auf, dass wir ihn nicht gefragt hatten, warum er aus Deutschland wegegegangen war. Das wollen wir unbedingt noch nachholen.

Nach dem Essen suchen wir das Lampenparadies noch einmal auf. Tayfun steht vor seinem Laden mit ein paar Männern zusammen. Als wir auf ihn zugehen, zieht er uns zu einem seiner Freunde hin, der sehr dünn und blass aussieht und auf einem Holzstuhl sitzt. Dieser Mann sei gerade aus dem Krankenhaus gekommen. Bevor man ihn notoperiert habe, sei er schon halb im Jenseits gewesen. Der Mann auf dem Stuhl öffnet sein Hemd und zeigt uns ein riesiges Pflaster auf seiner Brust. Tayfun beteuert, wie froh er sei, dass sein Freund wieder da sei.

Wir stellen Taifun unsere Frage. Er antwortet, er sei 15 Jahre alt gewesen, als seine Eltern 1983 aus Heimweh zurück in die Türkei gezogen seien. Für ihn selbst sei die Umstellung sehr leicht gewesen. Sie habe nur 10 Tage gedauert. Er habe in Istanbul gleich angefangen, auf einem Basar zu arbeiten.

Wir bleiben noch eine Weile bei Tayfun und seinen Freunden stehen und unterhalten uns mit ihnen. Dann verabschieden wir uns nochmals herzlich und schauen uns nach einem Taxi um, das uns zum Hotel zurückbringen kann.

Direkt gegenüber ist ein Taxistand, bei dem vier Fahrzeuge in einer Warteschlange auf Fahrgäste warten. In dem Taxi, das als nächstes dran ist, sitzt ein junger Mann und spielt mit seinem Handy. Er sieht nicht sehr interessiert aus an einer Fahrt. Auch als wir an sein Fahrzeug treten, reagiert er zunächst nicht. Auf unsere Anfrage, wie teuer eine Fahrt zum Hotel Onar sei, gibt er die Auskunft, dass sie 5 Euro koste. Wir steigen hinten ein. Aus dem Autoradio kommt laute aufdringliche Musik. Ich frage Johannes leise, ob wir etwas sagen sollen. Er schüttelt den Kopf. Die Fahrt sei doch so kurz. Als wir schließlich in einem Stau stehen, überkommt mich doch ein gewisser Unmut angesichts der Rücksichtslosigkeit und Unbedarftheit des jungen Mannes. Ich sage leise zu Johannes, dass ich jetzt doch etwas sagen will wegen der Musik. Da ist es plötzlich leise. Ich sage „Teşekkür.“ Der junge Mann lächelt.

Stau an der Friedensstatue von Girne/Kyrenia

P.S. Ich habe heute, am 11.03.2019, Tayfun in Zypern angerufen und mir von ihm die Erlaubnis geben lassen, seine Geschichte in meinem Blog zu veröffentlichen. Er hat sich sehr gefreut, von mir zu hören und hatte keine Bedenken gegen eine Veröffentlichung. Ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich bei ihm für seine Geschichte und für seine Großzügigkeit.

3 Gedanken zu „Noch einmal Girne / Kyrenia

  1. „Dieser Mann sei gerade aus dem Krankenhaus gekommen. Bevor man ihn notoperiert habe, sei er schon halb im Jenseits gewesen.“
    Gerne hätte ich den Mann zu seinem Nahtoderlebnis befragt. Ob er es auch so beschreiben würde: „Halb im Jenseits.“
    Eine fragwürdige Formulierung, eine der Frage würdige. Was ist Jenseits? Ein Seinszustand oder eine Weise des Bewusstseins? Und was bedeutet es davon nur einen Teil, eine Hälfte, erlebt zu haben?
    Ich hätte versucht diesen Mann so zu fragen, dass ich ihn verstehe. Grenzerfahrungen, paranormale Erlebnisse, mystische Schauungen sind erst einmal das, was sie sind: menschliche Erlebnisse.
    Diese Erlebnisse zu sammeln, sie anzuschauen, sie zu vergleichen, sie auf mich wirken zu lassen hat mich den größten Teil meines Lebens beschäftigt. Paradox: Je mehr ich erfuhr, desto weniger weiß ich.

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