Eklat am Morgen des letzten Tages

Ein schöner Platz zum Schreiben

Der letzte Tag unserer Reise (Donnerstag, der 8.3.2018) steht uns zur freien Verfügung. Allerdings gibt es wieder Ausflugsangebote. Für 30 Euro pro Person kann man an einer geführten Orchideenwanderung im Pentadaktylosgebirge teilnehmen und für 69 Euro kann man sich dem Ganztagesausflug nach Larnaka und Levkara in Südzypern anschließen. Bert hat sich für die Wanderung zu den Orchideen angemeldet. Insgesamt haben sich nur zehn Personen für diesen Ausflug interessiert. Er findet aber trotzdem statt.

Wir anderen genießen unsere Freiheit. Nach einer Runde Schwimmen im Innenpool und einem ausgiebigen Frühstück setze ich mich mit meinem Laptop auf die sonnenbeschienene Terrasse am Außenpool. Viele Mitreisende sitzen schon draußen und unterhalten sich oder lesen in ihrer Lektüre. Ein Glastischchen mit vier Rattansesseln ist noch frei. Dort nehme ich Platz. Ich hänge ein wenig hinterher mit meinem Reisetagebuch. Die Erlebnisse des gestrigen zypriotischen Abschiedsabends wollen noch festgehalten werden. Ich sitze schon eine ganze Weile und schreibe, als Andreas aufgebracht an meinem Tischchen auftaucht. Er setzt sich zu mir und beginnt gleich zu berichten, was ihn so erregt. Unser Reiseleiter Selim hatte ihn soeben beim Frühstück ganz fürchterlich angegriffen. Er warf Andreas vor, er habe ihm durch sein gestriges Benehmen den ganzen Abend verdorben und anderen Gästen ebenfalls. Man habe sich über ihn beschwert. Andreas wollte natürlich wissen, was genau man ihm vorwerfe. Selim erwähnte daraufhin die Szene gestern Abend im Bus bei der Rückfahrt vom zypriotischen Abend. Eigentlich war es ja Bert gewesen, der mit seinem entschiedenen „Nein“ seinen Unmut über die Abendveranstaltung herausgeschleudert hatte. Offenbar wollte Selim sich aber auf Andreas einschießen, der allerdings auch seinen Freund mit Argumenten unterstützt hatte bei dessen Unmutsausbruch. Es gab aber noch einen zweiten Vorwurf gegen Andreas, der diesen wie ein Hammer traf. Der Chef des Unternehmens, das den zypriotischen Abend ausgerichtet hatte, sei gestern Abend während der Veranstaltung zuhöchst aufgebracht bei ihm, Selim, im Vorzelt erschienen und habe sich massiv darüber beschwert, dass ein Gast aus Selims Reisegruppe einen seiner Kellner bedränge. Selim wusste ja, dass Andreas mit dem Kellner gesprochen hatte und nahm sofort an, dass er gemeint sei. Andreas ist immer noch fassungslos angesichts dieses Vorwurfs. Er habe doch den Kellner lediglich freundlich darauf angesprochen, dass sie beide sich schon einmal begegnet seien. Wie kann denn eine solche Geste freundschaftlicher Kommunikation derartig verdreht und fehlinterpretiert werden? Offensichtlich hat der Kellner wirklich etwas zu vertuschen, wie Andreas gestern Abend schon vermutet hatte. Der ganze Vorfall beim Frühstück hat Andreas sehr mitgenommen. Unglücklicherweise war sein Freund Bert nicht bei ihm gewesen, weil die Orchideenwanderer bereits abgefahren waren zu dem Zeitpunkt. Als wir Andreas später noch einmal treffen, vertraut er uns an, dass er lange gebraucht habe, sich von dem Erlebnis zu erholen und wieder an etwas anderes denken zu können. Zum Glück sei Bert jetzt wieder da und muntere ihn auf mit seinem interessanten Bericht von der Orchideenwanderung. Die habe drei Stunden gedauert und sei sehr anstrengend gewesen. Dafür habe er aber exotische Pflanzen zu sehen bekommen wie z.B. die „Nackter-Mann-Orchidee“ und einen Erdbeerbaum.

Selim werden wir den ganzen Tag nicht mehr sehen. Auch zum Abendbuffet wird er nicht erscheinen und auch nicht zu unserer Abreise am nächsten Morgen.

2 Gedanken zu „Eklat am Morgen des letzten Tages

  1. ,, Er habe doch den Kellner lediglich freundlich darauf angesprochen, dass sie beide sich schon einmal begegnet seien. Wie kann denn eine solche Geste freundschaftlicher Kommunikation derartig verdreht und fehlinterpretiert werden?“

    Wir Rheinländer lieben es auf rhetorische Fragen eine rheinische Antwort zu geben: Vielleicht hat er es ,,schrecklich gut gemeint“ als er den Kellner ansprach.
    Das Böse, geschweige denn das absolute Böse ist uns fremd, Manichäer sind wir nicht, können wir nicht sein. Unser subkutaner Katholizismus kennt nur die privatio boni, das Fehlen des Guten. Und selbst diese philosophische Hintertreppe schaffen wir es noch mit einem samtenen Treppenläufer auszustatten: das gut Gemeinte, welches leider sein Ziel verfehlte und zum Schrecken wurde, zur Verkennung, die jedoch gnädig imstande ist sich aufzulösen im Verstehen oder schlichtweg unterzutauchen im Vergessen im Zeitverlauf.

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