Eigentlich gehört der zypriotische Abschiedsabend zu einem Gesamtpaket für zusätzliche 69,00 Euro, das auch die Fahrt nach Morphou, die St. Hilarion-Festung, die St. Mamas-Kloster-Kirche, das archäologische Museum, die antike Stadt Soli und den Stausee von Zypern umfasst. Die Ausflüge sind gestern schon erfolgt, der Abschiedsabend aber findet heute statt. Wir hatten das Gesamtpaket nicht gebucht, erhalten aber die Möglichkeit, uns trotzdem für den Abschiedsabend anzumelden. Mit 30 Euro pro Person sind wir dabei.
Gleich nach dem Abendbuffet im Hotel fahren wir mit einem Bus zu der Veranstaltung. Selim, unserer Reiseleiter, begleitet uns. Wir freuen uns auf einen gemütlichen Abend in einer lauschigen Taverne mit einheimischen Tänzen und vielleicht sogar tanzenden Derwischen. Nach etwa einer halben Stunde halten wir auf einem großen Busparkplatz, steigen aus und werden zu unserer Bestürzung von Selim zu einem riesigen Festzelt geleitet. Zuerst durchqueren wir eine Art Vorzelt mit langen Tischen. Selim erklärt uns, dass dort die Reiseleiter und Busfahrer säßen. Ihn könnten wir auch gleich dort finden. Dann treten wir in das eigentliche Festzelt ein. Es ist groß wie ein Zirkuszelt und ist mit unzähligen Achtertischen vollgestellt, die zum großen Teil schon besetzt sind. Dicht an dicht gehängte bunte Sonnenschirme bilden die Dekoration oben an der Zeltdecke. Für unsere Gruppe sind drei Achtertische in Bühnennähe reserviert. Wir setzen uns mit Andreas und Bert an einen Tisch. Auch Susanne mit ihrer Mutter gehört zu unserem Achtertisch sowie ein Paar, das wir bisher noch nicht kennen gelernt haben. Die Dame heißt Anita. Sie setzt sich neben Johannes und erzählt ihm einiges von sich. Ihr Begleiter, ein äußerst beleibter Herr, ist nicht ihr Mann, wie wir angenommen hatten. Er ist ihr Nachbar. Eigentlich hatte sie ihn und seine Frau auf diese Reise begleiten wollen. Doch dann ist seine Frau plötzlich sehr krank geworden und ausgefallen für die gemeinsame Reise. Anita hat auch erst vor Kurzem ihren Mann verloren. Der sei innerhalb nur eines Jahres an Krebs verstorben. Kinder hätten sie keine. Sie habe auch keine Geschwister und die Eltern seien schon tot. Sie sei sehr alleine jetzt.
Bevor das Bühnenprogramm beginnt, werden Getränke- und Essensbestellungen aufgenommen. Als wir alle gut versorgt sind, beginnt die Vorstellung. Zuerst wird auf einer großen Leinwand die berühmte Tanzszene aus dem Film „Alexis Sorbas“ gezeigt, in der Sorbas seinem Freund Basil den „Sirtaki“ beibringt. Wir sind ein wenig befremdet. Dieser griechische Tanz scheint uns nicht viel mit Zypern zu tun zu haben. Dann erscheinen drei folkloristisch gekleidete Tanzpaare auf der Bühne und führen einige Tänze zu traditioneller Musik auf. Die drei verschwinden immer wieder hinter der Bühne und tauchen dann in einer anderen Tracht wieder auf. Wir vermuten, dass sie den Eindruck erwecken möchten, es handele sich jedes Mal um eine neue Truppe. Sie tanzen nicht nur, sondern vollführen auch akrobatische Kunststücke. Sie jonglieren, balancieren gefüllte Gläser und klettern aufeinander, um Pyramiden mit ihren Körpern zu bauen.
Andreas denkt die ganze Zeit darüber nach, woher er den Kellner kennt, der uns bedient. Als Selim sich einmal an unserem Tisch sehen lässt, fragt Andreas ihn, ob es sein könne, dass er dem Kellner schon einmal begegnet sei. Selim weiß sofort, dass der Kellner auch in dem Restaurant am Meer gekellnert hatte, wo wir am dritten Reisetag zu einem Fixmenü eingekehrt waren. Andreas erinnert sich jetzt ganz deutlich, ihn von dort zu kennen. Als der Kellner das nächste Mal an unseren Tisch tritt, spricht Andreas ihn auf seine herzliche und kommunikationsfreudige Art an und teilt ihm mit, woher er ihn bereits kenne. Der Kellner reagiert darauf überraschenderweise ziemlich aggressiv und streitet vehement ab, in dem Restaurant am Meer gewesen zu sein. Er bezichtigt Andreas der Lüge. Dieser Angriff irritiert und verärgert unseren Freund sehr. Zunächst kann er sich keinen Reim darauf machen. Dann aber findet er eine Deutung, die vielleicht das Verhalten des Kellners erklären könnte. Womöglich erledigt er einen seiner beiden Jobs in Schwarzarbeit. Und jetzt fürchtet er, damit aufzufliegen. Leider wird dieser Vorfall noch weitere Kreise ziehen und unserem Freund Andreas auch am morgigen Tag noch die Laune verderben.
Die Trachtenpaare auf der Bühne werden jetzt abgelöst durch eine grell geschminkte Bauchtänzerin mit langen blonden Locken. Sie tanzt sehr gut. Als sie wiederum abgelöst wird durch eine Kollegin mit langem dunklem Haar, wundern wir uns über die große Ähnlichkeit der beiden. Wir schauen uns das Gesicht ganz genau an und gewinnen immer mehr den Eindruck, dass es sich gar nicht um eine Frau handelt. Es scheint ein und derselbe Mann zu sein, der sowohl in die Rolle der Blonden als auch in die Rolle der Brünetten geschlüpft ist. Eine Travestieshow. Den Abschluss der Vorstellung bildet eine erneute Leinwandeinblendung. Wir sehen Rex Gildo das Lied „Der letzte Sirtaki“ singen. Der Vorhang fällt, wir stehen auf und verlassen mit gemischten Gefühlen das Zelt. Unter einem zypriotischen Abschiedsabend hatten wir uns etwas ganz anderes vorgestellt.
Im Bus ergreift Selim das Mikrofon und fragt uns, ob das nicht ein schöner Abend gewesen sei. Als habe er auf diese Frage nur gewartet, schleudert Bert ein entschiedenes ärgerliches „Nein“ in den Bus. Von Selim befragt, was ihm denn nicht gefallen habe, formuliert er mit Unterstützung von Andreas seine ganze Enttäuschung über diesen Abend. Das sei doch kein „zypriotischer Abend“ gewesen. Dieser Titel sei doch die totale Irreführung. Ursprünglich habe es sogar einmal geheißen, wir bekämen einen Folkloreabend in einer Taverne mit einheimischen Tänzen geboten. Das hier sei doch eher ein Varietéabend im Zirkuszelt gewesen. Unter Taverne stelle man sich ein lauschiges Lokal vor und nicht so ein Riesenzelt mit Massen von Leuten. Auch die Folkloretänze aus verschiedenen Regionen, die angekündigt waren, habe es nicht wirklich gegeben. Andreas ergänzt noch, dass sowohl die Ouvertüre als auch das Finale mit Zypern nichts zu tun gehabt hätten. Selim geht auf die Vorwürfe nicht ein, sondern setzt sich auf seinen Platz und spricht kein Wort mehr während der ganzen Fahrt. Er verabschiedet sich auch nicht, als wir am Hotel aussteigen.
Hallo, liebe Alice!
Eure Zypernreise erinnert uns stark eine Türkeireise vor etlichen Jahren.
Wir hatten ähnliche Erlebnisse, würden aber eine solche Reise, trotz der
schönen Eindrücke, nicht noch einmal machen wollen.
Liebe Grüße, Mechthild und Onkel Wolfgang❤️❤️