Juwelen jenseits des Pentadaktylos

Der Fünf-Finger-Berg

Nach dem Besuch der Bellapais-Abtei stehen zwei Verkaufsveranstaltungen auf dem Tagesprogramm. Wir werden einen Schmuck- und einen Lederwarenverkaufsstopp einlegen, wie Selim, unser Reiseleiter, es ausdrückt. So hört es sich nur nach kurzen Stippvisiten an und nicht nach je einstündigen Veranstaltungen. Mir ist ganz und gar nicht wohl bei dem Gedanken an diese zwei Stopps. Ich kann es nicht ganz präzise benennen, was mich quält. Einerseits will ich unbedingt widerstehen, wenn ich merke, dass mir etwas aufgedrängt werden soll, andererseits fühle ich mich aus Gründen der Höflichkeit verpflichtet, nicht allzu abweisend zu sein. Mein Unbehagen nimmt noch deutlich zu, als Selim im Bus beginnt, uns moralisch vorzubereiten auf die Beratungssituation. Er erklärt, dass die Warenhäuser unsere Reise bezuschusst hätten. Das hieße allerdings nicht, dass jeder von uns verpflichtet sei, etwas zu kaufen. Nur etwa 20% der Besucher müssten einen Kaufvertrag abschließen, wenn es sich für die Firmen lohnen sollte. Das Schmuckwarenhaus, das wir zuerst anführen, sei ein sehr seriöses armenisches Unternehmen. Die Verkaufsberater seien hervorragend ausgebildet, sprächen fließend Deutsch und begegneten ihren Kunden mit ausgewählter Höflichkeit. Er bitte uns, nicht von vornherein unsere Ablehnung kundzutun. Das empfinde unser Gegenüber als Zurückweisung. Erst recht gehe es nicht an, sich gleich zu Beginn der Verkaufsberatung in das angeschlossene Kaffee zurückzuziehen. Es sei einfach eine Frage des Anstands, den präsentierten Waren ein Interesse und eine Wertschätzung entgegen zu bringen.

Während Selim uns diesen Vortrag hält, überqueren wir das Kyreniagebirge, das auch Pentadaktylosgebirge genannt wird. Der Name stammt von einem seiner auffälligsten Berge, einem besonders hohen zerfurchten Kalksteingipfel, dessen fünf Zacken wie die Knöchel einer riesigen Faust aussehen. Pentadaktylos bedeutet „fünf Finger“. Unsere Fahrt führt uns genau an diesem „Pentadaktylos“ vorbei. Wir legen einen Fotostopp ein, der diesmal tatsächlich die Bezeichnung „Stopp“ verdient. Alle Businsassen steigen aus, laufen ein paar Schritte die Straße hinauf und richten ihre Kamera auf die Riesenfaust. Und schon steigen alle wieder ein und die Fahrt geht weiter.

Selim erzählt uns eine Legende zu dem „Fünf-Finger-Berg“. Es lebte einst ein König, der eine wunderschöne Tochter hatte, um deren Hand zahlreiche Männer anhielten. Der König erklärte, dass derjenige, der ihm geweihtes Wasser aus der heiligen Apostel-Andreas-Quelle brächte, seine Tochter ehelichen solle. Es war aber ein einfacher Hirte, der schließlich das Wasser überbrachte und seinen gerechten Lohn erwartete. Doch wies ihn der König höhnisch ab. Voller Zorn vergoss der Hirte das Wasser und es entstand ein Sumpf, in dem der König versank. Nur seine Faust schaute am Ende noch heraus und versteinerte zu dem Gipfel mit den fünf Zacken.

Wir nähern uns dem ersten Verkaufsstopp. Selim kündigt das Paradies für die Frauen und die Hölle für die Männer an: Schmuckwaren. Der Bus hält in einer völlig ausgestorbenen wüstenähnlichen Gegend vor einer gigantischen Halle, der gegenüber sich eine unglaublich imposante schneeweiße Großmoschee mit vier Minaretten in der Sonne prangt. Wie bei dem Teppichhaus werden wir auch beim Betreten des Schmuckunternehmens mit großer Freundlichkeit begrüßt und erhalten zunächst einen interessanten Vortrag über die verschiedenen Edelsteinsorten, Schleifmethoden, Güteklassen und vieles mehr. Auch stellt man uns Prachtexemplare auserlesenen Geschmeides vor und nennt uns ihren unermesslichen Wert. Danach dürfen wir uns in fünf riesigen Hallen mit Vitrinen voller Juwelen umschauen. Es geht mir genauso wie im Teppichhaus. Ein Verkäufer begleitet mich die ganze Zeit und hofft darauf, dass ich mich für irgendein Schmuckstück entscheide. Mir gefällt nichts wirklich gut und ich halte die Preise für überteuert. Beide Einwände können grundsätzlich durch entsprechende Angebote entkräftet werden. Am Ende verlasse ich das Juwelenparadies geschwächt und ohne etwas gekauft zu haben. Ich fühle mich nicht wohl und sehe bange dem nächsten Stopp entgegen.

Hala-Sultan-Theologieschule mit Großmoschee in Nordzypern

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.