Lederhaus und Ankereffekt

KYRENIA LEATHER & FUR

Die Fahrt geht weiter zum türkischen Lederwarenhaus. Dort durchlaufen wir das schon bekannte Prozedere. Nur werden wir diesmal nach dem Vortrag zunächst zu einer Modenschau in einen Vorführraum gebeten. Gezeigt werden Lederjacken für Damen und für Herren. Die Jacken gefallen mir ausgesprochen gut. Die schwarze längere Jacke mit dem schrägen Reißverschluss und den asymmetrisch aufgebrachten Taschen hat es mir angetan. Die Show ist zu Ende und wir werden in eine weiträumige Verkaufsfläche entlassen. Dort wartet eine Heerschar von Verkaufsberatern auf uns. Einer der Herren fragt mich, was ich denn gerne einmal völlig unverbindlich anprobieren wolle. Ich beschreibe die Jacke aus der Modenschau. Er holt sie herbei und ich ziehe sie an. Ich betrachte mich im Spiegel und sehe, dass sie mir sehr gut steht. „Was soll sie denn kosten?“ Zweieinhalbtausend Euro lautet die Antwort. Ich bin bestürzt und beschließe, mich auf keinen Fall auf einen Kauf einzulassen. Mein Berater räumt ein, man könne an dem Preis gewiss noch etwas machen. Unsere Gruppe bekomme ja besondere Konditionen. Er müsse mit seinem Chef sprechen. Er zieht sich in einen Nebenraum zurück. Mir ist ganz und gar unwohl. Ich möchte auf keinen Fall so viel Geld ausgeben. Selbst bei einem deutlichen Preisnachlass wäre mir die Jacke noch viel zu teuer. Ich berate mich leise mit Johannes. Er meint, ich solle einen Preis für mich festlegen, den ich maximal zu zahlen bereit wäre. Ich sage spontan: 800 Euro. 

Plötzlich kommt Ulla auf mich zu und erlöst mich aus der beklemmenden Situation. Ich solle doch bitte einmal mitkommen. Sie wolle unbedingt mein Urteil zu einer bestimmten Jacke hören. Sie und ihr Mann hätten jeweils die gleiche Wendejacke aus dünnem „Seidenleder“ ausgewählt, innen Wildleder, außen glattes Leder. Ich freue mich sehr darüber, von Ulla zurate gezogen zu werden und folge ihr quer durch den Raum. Fred steht mit seiner Lederjacke bekleidet vor einem Spiegel und betrachtet sich kritisch von hinten und von vorne. Die Jacke ist aus hellbraunem, sehr feinem weichen Leder. Fred sieht mit ihr sehr gut angezogen aus. Das teile ich ihm mit. Ulla legt ebenfalls ihre Jacke an und zeigt sich mir von allen Seiten. Auch ihr steht die Jacke sehr gut wie ich finde. Auch der Partnerlook passt zu diesem harmonischen Paar. So denke ich heimlich. Beide wenden gleichzeitig ihre Jacke und präsentieren mir auch noch die Wildlederseite. Ich äußere, dass die Jacken an ihnen beiden von beiden Seiten sportlich elegant wirkten und zugleich bequem aussähen. Ulla und Fred finden genau diese Kriterien wichtig für sich. Den Preis hatten sie bereits von 2000 Euro auf 1000 Euro herunter gehandelt. Ulla ist jetzt fast entschieden, die Jacke zu kaufen. Als ihr Verkaufsberater nun auch noch mit vielen Argumenten und kleinen Rechnungen auf einem Zettelblock den Preis auf 900 Euro herunterrechnet, gibt Ulla ihm den Zuschlag. Sie geht sogleich mit ihm zur Kasse. Fred erbittet sich noch ein wenig Bedenkzeit.

Inzwischen ist mein Berater wieder aufgetaucht und findet mich am anderen Ende des Raumes. Er hat mein Lieblingsstück über dem Arm hängen und lässt mich noch einmal hineinschlüpfen. Er bestätigt wiederholt, die Jacke sei wie für mich gemacht. Dann verkündet er, er habe die Ausnahmeberechtigung erhalten, 40% Preisnachlass zu gewähren. So etwas ginge auch nur bei unserer Gruppe. Er rechnet mir vor, welcher Preis sich demnach ergibt: 1500 Euro. Das ist immer noch viel zu viel. Ich denke an meine selbstdefinierte Schranke von 800 Euro, die ich auf keinen Fall überschreiten will. Ich äußere ganz entschieden, ich wolle die Jacke nicht kaufen. Mein Berater denkt noch einmal nach und es fällt ihm noch ein Winkelzug für eine weitere Reduktion ein. Wieder zieht er sich in den Nebenraum zurück, um wenig später mit triumphalem Gesichtsausdruck zu verkünden, ich könne die Jacke für 1000 Euro bekommen. Das ist immer noch sehr viel Geld. Doch verglichen mit meinem Richtwert von 800 Euro ist es nicht so viel mehr. Ich entschließe mich zum Kauf. Die Möglichkeit einer erneuten Preissenkung halte ich für ausgeschlossen. Mein Berater führt mich zur Kasse. Ich zahle per Kreditkarte und die Kassiererin reicht mir in einer großen Papiertüte meine extravagante herrliche Jacke über die Theke. Mit gemischten Gefühlen verlasse ich den Verkaufsraum und setze mich mit Johannes draußen in den Kaffeegarten des Lederhauses. Ich schaue Johannes fragend an. War es ein Fehler diesen Preis zu zahlen? Johannes meint, ich solle mich fragen, ob mir die Jacke das Geld wert sein. Wenn ja, dann solle ich mich jetzt an ihr erfreuen und nicht mehr nachdenken über den hohen Preis.

Ulla und Fred verlassen ebenfalls gerade das Lederwarenhaus. Sie haben beide je eine Papiertüte in der Hand. Im Gegensatz zum Teppich- und zum Schmuckwarenhaus kann man hier sofort erkennen, wer etwas gekauft hat und wer nicht. Ich sehe jede Menge Tüten. Ulla und Fred setzen sich zu uns. Fred hat für seine Jacke schließlich nur 360 Euro gezahlt, obwohl es die gleiche Jacke ist, die Ulla für 900 Euro gekauft hat. Vielleicht lohnt es sich doch, länger zu zögern bis man sich zum Kauf entschließt, sage ich mir. Schon beginne ich wieder, mich über mich selbst zu ärgern. Dann tritt auch noch Andreas an unseren Tisch. Er packt stolz eine kurze schwarze Ledersteppjacke vom Typ Bomberjacke aus und führt sie uns vor. Verwegen sieht er darin aus. Ein guter Kauf. Er hat den Preis von anfangs 2000 Euro auf 320 Euro herunterhandeln können.

Andreas kennt sich aus mit den Verkaufsstrategien in der Wirtschaft. Er erklärt uns, dass der Anfangspreis, der genannt wird, einen sogenannten Anker setze. Alle später genannten Preise würden vom Käufer in eine Relation zu diesem Richtwert gesetzt. Das sei eine Erkenntnis der Verhaltensökonomie, dass Menschen grundsätzlich relativ bewerten. Um den numerischen Wert von etwas einzuschätzen, suche der Mensch immer nach einem Vergleichswert. Wenn kein solcher vorhanden sei, orientiere er sich ersatzweise auch an völlig willkürlich gesetzten Ankern ohne realistischen Bezug zum Sachverhalt. Der Einfluss des wo auch immer herkommenden Ankers auf das Werturteil sei nachweislich immens hoch. Hier z.B. führe der unverhältnismäßig hohe Anfangspreis in der Regel zu einem relativ hohen endgültigen Verkaufspreis. Diesem Ankereffekt sei man viel häufiger ausgesetzt als man ahne.

Hätte ich diesen Vortrag doch nur schon früher gehört. Jetzt sehe ich auch noch, dass am Nebentisch eine Dame MEINE Jacke aus ihrer Tüte zieht und freudig ihren Freundinnen vorführt. Die ganze Extravaganz, das Flair des Besonderen dieses außergewöhnlich geschnittenen Kleidungsstücks verflüchtigt sich in meinen Augen durch die Verdoppelung. Was sie wohl für ihre Jacke bezahlt haben mag? Ich will es nicht wissen. Ich gehe zu der Dame hinüber, zeige ihr mein Exemplar und schlage vor, dass wir uns nicht gegenseitig den Preis nennen, den wir gezahlt haben. Sie ist sofort einverstanden damit. An diese Verabredung halten wir uns tatsächlich bis zum Abschied am Düsseldorfer Flughafen.

Präsentation meiner extravaganten Langjacke in der Modenschau

10 Gedanken zu „Lederhaus und Ankereffekt

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  3. Ich bin Oktober 2018 natürlich auch in die Einkaufsfalle getappt! Ich muss zugeben, die machen das dort wirklich raffiniert!
    Ich wurde Opfer einer sehr schönen schwarzen Wendejacke für meinen Freund. Von Euro 1750,00 auf 600,00 runtergehandelt.
    Das wäre an sich noch in Ordnung für mich , ich habe sie schließlich freiwillig gekauft – die Jacke ist wunderschön! ABER LEIDER NICHT TRAGBAR!!!!
    Sie färbt extrem am und färbt sämtliche Kleidungsstücke inkl der Haut schwarz ein.
    Anfänglich war Kyrenia Leather bei meinem Versuch sie umzutauschen sehr entgegenkommend, es funktionierte relativ anstandslos von Wien aus.
    Nur die ausgetauschte Jacke färbt ganz genauso schlimm und zusätzlich ist sie noch defekt geschickt worden. Nähte lösen sich am Rücken auf, obwohl sie noch nicht mal getragen wurde. Jetzt reagiert Kyrenia Leather auf gar nichts mehr – weder Mails noch werden Anrufe bearbeitet.
    600 Euro sind abzuschreiben!!

    Ich bin sehr enttäuscht!
    Kann nur jedem empfehlen bei solchen Events standhaft zu bleiben und nicht zu kaufen, oder das Produkt extrem genau unter die Lupe zu nehmen.

  4. Wir waren auch im Februar 2020 mit RSD Reisen dort. Ich hatte mich grundsätzlich für eine „Seidenleder Wendejacke; einseitig Wildleder blau und anderseitig Glattleder schwarz“ interessiert.
    So eine Jacke hatte ich vor ein paar Jahren bereits in Antalya – auch im Rahmen einer Rundreise – „angepriesen“ bekommen. Damals hatte ich innerhalb einer Stunde das gute Stück von: 1700,-€ (Russenpreis) auf 450,-€ Meinpreis runtergehandelt, aber letztendlich nicht gekauft, weil ich dies auch gar nicht vor hatte.
    Bei Leather&Fur hatte ich nun ein solches identisches Modell – und nur dieses – anprobiert und alle an der Verkaufsaktion Beteiligten für gut befunden.
    Zu Beginn jedweden türkischen Handelsgebräuchen mit unerfahrenen Touries hatte ich dann eingangs bereits dezidiert von den damaligen Erfahrungen berichtet und von vornherein 450,-€ als einzig diskutablen Höchstpreis meinerseits/unsererseits (mit Ehefrau) festgelegt. Die trotzdem erfolgten halbherzigen Verkäuferversuche mit u.a. 920,-€ Sonderpreis, ausgehend von 2200,-€ Russenpreis, haben wir dann sehr freundlich konstant als reine Zeitverschwendung zurückgewiesen. So kam es dann in Folge auch zu den handelsüblichen Verkäufer-Wechseln bis zum „Chef“??? Die ganze Masche nutzte nichts; wir blieben stur und völlig handelnsunwillig bei unserem Kaufangebot von 450,-€. Kein Erfolg? Das dachten wir auch auf unserem Wege nach draußen in Richtung Bus.
    Und dann?….kam doch noch jemand hinter uns hergerannt, um diesmal die Version zu berichten, dass die „Chefin“ nun eingelenkt habe!!! Daraufhin habe ich die Jacke gekauft.
    Übrigens als Tipp grundsätzlich: Es ist immer gut einen Partner in das „Verkaufsgespräch“ die ganze Zeit fest mit einzubinden. Das hilft sehr dabei sich nicht wankelmütig zu zeigen und jeweils wechselseitig aufeinander hinzuweisen.
    Die erstandene, leichte und strapazierfähige Wendejacke habe ich bisher im Internet nicht entdeckt. Unter dem auf dem eingenähten Etikett versehenen Namen . „George Madden , Model SVE 87“ finde ich nichts, ebenso wenig ein vergleichsweises Produkt .

  5. Ich habe mit meinem Mann auch zwei Jacken gekauft, gestern sind wir nach hause gekommen von Zypern. Ich versuche mich zu beruhigen , vielleicht ist das auch Überteuert 1600 Euro. Aber die Jacken gefallen uns und ich hoffe, dass die auch halten. Und wirklich echt Leder sind. Weil ich erst zuhause bemerkt habe, dass das nirgendwo steht.

  6. Ich habe in dem Haus eine Tasche gekauft. Schon in zwei Monaten war der Reißverschluss kaput. In vier Monaten ist ein Beinchen abgegangen.
    Die Tasche von BREE. So zumindest wurde sie mir verkauft. Obwohl der Preis verhandelt wurde, habe ich ca. 25% mehr bezahlt, als ich was ähnliches zu Hause kaufte.

  7. Seit Beginn deines Reiseblogs warte ich auf diese Geschichte,
    wie du der Überzeugungskraft des Lederjackenverkäufers erlegen bist
    Aber die Jacke ist wirklich schön und elegant und immer mit dieser heiteren Erzählung verbunden.

  8. Mir erging es genauso in Ägypten. Ich erstand ein Bild und ein Parfümglas. Mit Sicherheit zahlte ich zuviel. Aber noch heute habe ich Freude an diesen Dingen und darum waren sie doch nicht zu teuer. Viel Freude wünsche ich Dir mit Deiner Jacke.

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