Der zweite Abend im Hotel Onar

Speisesaal des Hotels Onar

Es ist 19:00 Uhr. Das Abendbuffet im Hotel Onar beginnt. Wir würden uns heute gerne mit Andreas und Bert an einen Tisch setzen. Aber schon beim Betreten des Hotelrestaurants kommt uns Bert mit bedauernder Miene entgegen. Er habe leider keinen Platz für uns freihalten können, obwohl er extra einen Sechsertisch ausgewählt habe. Ingrid und Peter hätten sich gleich zu ihnen gesetzt und dann habe die Dame, die mit ihrer Mutter reist, gefragt, ob sie sich dazu setzen könnten. Er habe zu ihr nicht nein sagen wollen. Ich habe den Eindruck, dass Andreas und Bert sich schon eine Menge Freunde gemacht haben auf der Reise. Sie werden geradezu umschwärmt, die beiden höchst sympathischen Herren. Wir verabreden mit Bert, uns nach dem Essen wieder im Kaminzimmer der Lobby zu treffen. Gerade wollen wir uns an einen freien Vierertisch setzen, als ich sehe, dass hinten links in der Ecke wieder das vornehme ältere Paar aus dem Sauerland sitzt und uns freudig zu sich winkt. Wir setzen uns zu ihnen. Und wieder unterhalten wir uns sehr gut in dieser angenehmen Gesellschaft.

Nach dem Essen begeben wir uns in das Kaminzimmer und sehen Andreas und Bert umringt von einer Schar dunkelhäutiger Menschen. Ich erkenne das fünfjährige Mädchen mit den schwarzen Zöpfen wieder, das im Shuttlebus auf meinem Platz hatte sitzen wollen. Es erkennt mich auch und lächelt mich schüchtern an. Die Eltern des Mädchens, die aus dem Nordsudan stammen wie sie uns später erzählen, unterhalten sich angeregt auf Englisch mit Andreas. Noch ein weiteres Paar gehört zu der Gruppe. Es ist etwas hellhäutiger als die sudanesische Familie. Wir nehmen alle Platz in der Sitzgruppe am Kamin. Andreas führt in erster Linie das Gespräch mit den Fremden. Sein Englisch ist hervorragend. Aber auch Bert kann sich ziemlich flüssig in der fremden Sprache ausdrücken. Ich bewundere das sehr. Es stellt sich im Laufe der Unterhaltung heraus, dass das hellhäutigere Paar aus dem Irak stammt. Sowohl sie als auch die sudanesische Familie leben in Katar, kennen sich aber nicht von dort. Erst hier im Hotel Onar in Girne sind sie einander erstmalig begegnet. Sie erzählen uns, dass es derselbe Grund ist, der sie hierher nach Nordzypern geführt hat. Es gibt in Girne/Kyrenia eine hervorragende gynäkologische Klinik, in der künstliche Befruchtungen durchgeführt werden. Das sudanesische Paar vertraut uns seinen Wunsch an, noch ein zweites Kind zu bekommen. Auf natürlichem Wege sei eine Fortpflanzung bei ihnen beiden offenbar nicht möglich. Auch das fünfjährige Töchterchen sei schon im Labor gezeugt worden. Sie seien unendlich dankbar für dieses Geschenk. Ich schaue auf das Kind, dieses lebendige Wunderwerk der Natur, das ohne den künstlichen Eingriff nicht existierte. Das Kind versteht kein Englisch und weiß nicht, dass man von ihm spricht. Ich lächele es an und es lächelt scheu zurück.

Das irakische Paar hat noch kein Kind. Seit vielen Jahren schon versuchen sie vergeblich, ein Kind zu zeugen. Die Afrikanerin zieht sich schließlich mit ihrem Töchterchen ins Hotelzimmer zurück. Wenig später tritt noch eine weitere dunkelhäutige Dame zu unserer Gruppe. Andreas kennt sie offensichtlich. Er erhebt sich und begrüßt sie sehr herzlich mit einer Umarmung. Wir erfahren, dass er sie beim heutigen Tagesausflug kennen gelernt hat. Sie stammt aus Nepal und arbeitet in Paris als Gynäkologin. Ihr Spezialgebiet sind Geschlechtskrankheiten. In Zypern befindet sie sich zurzeit auf einer privaten Urlaubsreise. Sie setzt sich zu uns und lässt sich von dem Vorhaben der beiden Paare berichten. Mit der Irakerin unterhält sie sich daraufhin sehr intensiv. Am Ende des Gesprächs, das offensichtlich sehr bewegend war, umarmen sich die beiden Frauen. Die Nepalesin verabschiedet sich und zieht sich zurück. Andreas vertraut uns später an, dass sie selbst mehrfach versucht habe, sich künstlich befruchten zu lassen. Ohne Erfolg. Sie habe keine Kinder und auch keinen Partner. Ich muss an das Gespräch mit Bert in der Sauna denken. Wie vielfältig und bewegt doch manche Lebensläufe sind und wie unterschiedlich sich das Glück in den verschiedenen Biographien manifestiert.

Kamin in der Lobby des Hotels Onar

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