Nach unserem freien Tag in Girne kehren wir mit dem Shuttlebus zurück ins Hotel. Wir haben Glück, dass noch zwei Plätze für uns frei sind in dem kleinen Bus, in den nur acht Fahrgäste hineinpassen. Nachdem alle Plätze eingenommen sind, beginnt ein etwa fünfjähriges dunkelhäutiges Mädchen mit dicken langen schwarzen Zöpfen zu weinen. Die Eltern, die beide aus dem Nordsudan stammen wie wir später erfahren, versuchen sie zu beruhigen. Sie sprechen arabisch. Das Kind zeigt immer wieder auf den Platz, den ich besetze. Ich frage die Eltern, ob das Kind gerne auf meinem Platz sitzen möchte. Sie erklären mir auf Englisch, dass ihre Tochter auf der Hinfahrt dort gesessen habe. Ich biete sofort an, den Platz freizumachen. Das Kind ist sehr glücklich und lächelt mich dankbar an. Wir tauschen die Plätze und der Bus fährt los. Der Verkehr ist schon sehr dicht, obwohl es erst 16:00 Uhr ist. Wir brauchen eine Dreiviertelstunde bis zum Hotel.
Beim Aussteigen schon sehe ich Bert oben auf der Hotelterrasse sitzen und einen Kaffee trinken. Er habe schon das Aufheizen der Sauna veranlasst teilt er mir mit. In etwa einer Stunde könnten wir sie aufsuchen. Dieses Stündchen nutze ich zu einem Mittagschlaf. Schön ausgeruht lege ich dann gleich die Badekleidung an, wickele mich in ein großes Saunatuch und gehe hinauf zum Haupthaus des Hotels Onar. Im eiskalten Außenpool schwimmt meine Freundin Ingrid, die Kampfschwimmerin, ihre zügigen Bahnen. Sie schaut kurz zu mir auf und ich bedeute ihr, dass ich sie bewundere. Sie ruft mir zu, dass sie sich gleich in der Sauna aufwärmen wird.
Zum Hallenbad geht es noch eine kleine Treppe weiter hinauf. Ich durchquere eine kleine Eingangshalle und trete in die noch vollkommen leere Schwimmhalle ein. Das Becken ist etwa 10 mal 15 Quadratmeter groß. Durch ein gläsernes gewölbtes Dach und mehrere hohe Bogenfenster fällt Tageslicht in den angenehm temperierten Raum. Ich trete kurz in die Sauna ein, die durch eine Holztür mit kleinem Glasfenster von der Schwimmhalle abgeht. Auch hier befindet sich noch niemand. Der Raum ist recht klein. Es gibt nur drei kurze Holzbänke rings an den Wänden. Die Temperatur beträgt bestimmt schon 70°.
Ich kehre zurück in die Schwimmhalle, lege das Saunatuch auf eine der Rattanliegen und steige über ein Leiterchen ins Wasser ein. Es gefällt mir, dass die Wassertemperatur nicht so badewannenmäßig ist wie im Salamishotel. Ich stoße mich von der Wand ab und bin in sechs Schwimmzügen auf der anderen Seite. Dreißigmal schwimme ich hin und her. Wie bei allen aus Wiederholungen zusammengesetzten Tätigkeiten muss ich immer zählen. Als ich über die Leiter wieder hinaussteige, taucht Bert in seiner Badehose mit umgehängtem Saunatuch in der Schwimmhalle auf. Auch er legt sein Tuch auf einer der Liegen ab und beginnt sein Wellnessevent mit dem Schwimmen. Ich staune, wie sportlich er für sein Alter ist. Er krault in hoher Geschwindigkeit seine Bahn und kehrt mit gekonnter Rollwende in die Gegenrichtung um. Ich schaue ihm eine Weile zu und frage mich, ob es angesichts unserer momentanen Zweisamkeit im Wellnessbereich passend ist, die Sauna nackt zu betreten. Ich entscheide mich dafür. Die Sauna ist eine eigene Wirklichkeit für sich mit eigenen Gesetzen. Also streife ich den Badeanzug ab, hänge ihn an einer Ecke der Liege auf, greife mein Saunatuch und betrete die Sauna. Ich breite das Tuch auf eine der drei Bänke und lege mich darauf. Die heiße Luft umfängt mich schmeichelnd und ein wohliges Entspannungsgefühl breitet sich in mir aus. Minutenlang liege ich so da und denke an nichts. Schließlich öffnet sich die Saunatür und Bert kommt herein. Auch er nackt. Er legt sein Saunatuch auf die Bank gegenüber und setzt sich darauf. Ich setze mich ebenfalls hin und wir schauen uns an. Einen Moment lang empfinde ich die intime Situation als unschicklich. Doch dann reden wir und das Gefühl verfliegt wieder. Wir bestätigen uns gegenseitig wie genussvoll das Saunieren ist. Bert hat am heutigen Zusatzausflug teilgenommen und erzählt mir ein wenig von seinen Erlebnissen. Er denkt zurzeit viel nach über die bewegten Lebensläufe der Zyprioten, denen er begegnet ist. Demgegenüber seien doch unsere Biographien langweilig und uninteressant. Er frage sich, worum es Menschen eigentlich gehe in ihrem Leben. Ich antworte, es ginge immer um das Glück. Bert würde das Wort „Glück“ lieber durch „Zufriedenheit“ ersetzen. Glück sei doch etwas, was nicht andauern könne. Er frage sich, warum das eigentlich so sei. Ich erwidere, dass es meiner Ansicht nach zwei Arten von Glück gebe. Das rauschhafte Glück, der Gefühlsüberschwang wie die Euphorie der Verliebtheit zum Beispiel könne nicht von Dauer sein. Wäre es nämlich von Dauer, würden wir es nicht mehr als Glück empfinden. Erst vor dem Hintergrund des gegenteiligen Gefühlszustandes, der immer latent mit anwesend sei und in den das Glück jederzeit umschlagen könne, sei Glück als Glück erfahrbar. Aber die andere Art von Glück könne sehr wohl von Dauer sein, nämlich so etwas wie ein geglückter Lebensplan. Auch eine geglückte Beziehung zu seinem Partner sei eine Form von dauerhaftem Glück. Auch wenn jemand in seinem Beruf glücklich sei, sei dies dauerhaftes Glück. Darauf springt Bert sofort an. Er sei sehr glücklich in seinem Beruf gewesen. Ihm sei es immer darum gegangen, mit Menschen zu tun zu haben. Und zwar nicht, weil es ihm um eine gemeinsame Sache gegangen sei, die ihn mit den anderen verbunden hätte, sondern es sei ihm um den anderen Menschen direkt gegangen. Und das habe sein Beruf ihm in hohem Maße geboten.
Die Saunatür öffnet sich wieder und Ingrid tritt eingehüllt in ein Badetuch herein. Sie lässt das Tuch auf die Bank zwischen uns beiden gleiten und hockt sich nackt und völlig durchgefroren darauf. Es dauert eine ganze Weile bis sie zugeben kann, dass sie langsam beginnt, wieder warm zu werden. Ich verlasse die Saunakabine wieder, dusche kalt, trockne mich ab und hülle mich ein in ein frisches in der Damenumkleide auf einem Stapel ausliegendes Badehandtuch. Ich greife meinen nassen Badeanzug und kehre durch die kühle Abendluft zu unserem Bungalow zurück.
Deine Reiseberichte gefallen mir sehr gut.
Das ich eine Kampfschwimmerin bin ehrt mich.
habe das Gefühl, ich erlebe die Reise nochmal.
Liebe Grüß
Ein Gespräch von zwei Nackten im Besonderen über das Glück im Allgemeinen. Eine sehr denkwürdige Situation!