Dienstag, der 6.3.2018
Den fünften Tag unserer Studienreise durch Nordzypern mit dem RSD haben wir ganz zu unserer freien Verfügung. Ein Teil der Reisegruppe ist schon früh zu einem Busausflug aufgebrochen, den man zusätzlich buchen konnte. Wir freuen uns darauf, den heutigen Tag einmal selbst zu gestalten. Zunächst schlafen wir lange aus. Wir lassen uns viel Zeit beim Frühstück und setzen uns anschließend nach draußen auf die Hotelterrasse und genießen die Morgensonne. Es ist so warm, dass einige der Mitreisenden ihr Frühstück hier draußen einnehmen. Man erzählt uns, dass um 11:00 Uhr ein Shuttlebus des Hotels hinunter an den Hafen von Girne/Kyrenia fährt, der am Nachmittag die Hotelgäste dort wieder abholt. Wir haben uns allerdings schon vorgenommen, zu Fuß in die Stadt hinunter zu gehen. Wir schätzen, dass wir ungefähr eine Dreiviertelstunde unterwegs sein werden.
Gegen 10 Uhr brechen wir zu unserer Wanderung auf. Der Stadtplan von Girne, den wir an der Hotelrezeption erhalten haben, reicht nicht bis hierhin. Unser Hotel liegt in der äußersten Peripherie der Stadt. Da wir aber von weit oben herabsteigen und die ganze Stadt vor uns liegen sehen, wissen wir genau, in welche Richtung wir gehen müssen. Die Wetterentwicklung macht uns ein wenig Sorgen. Über dem Kyreniagebirge braut sich etwas Düsteres zusammen. Über dem Meer dagegen ist der Himmel noch blau. Wir versuchen, die stark befahrenen Autostraßen zu meiden und finden immer wieder kleine Seitenstraßen oder Fußwege. Dabei entdecken wir wunderschöne Privatanwesen mit prächtig blühenden exotischen Büschen und Bäumen. Nach etwa einer Viertelstunde stoßen wir auf die breite Haupteinfallstraße von Girne und sehen nirgends einen Fußgängerüberweg. Schließlich wagen wir es, ohne die Hilfe verkehrsregelnder Einrichtungen die Straße zu überqueren. Drüben angekommen, können wir uns schon bald mit Hilfe unseres Stadtplans orientieren. Wieder wählen wir kleine Seitenstraßen, um dem Verkehrslärm zu entkommen. Wir passieren sowohl große Hotelkomplexe und Hochhäuser als auch Straßenzüge mit kleineren zwei- bis dreigeschossigen Wohnhäusern. Schließlich durchqueren wir einen großen Park und befinden uns bald im historischen Stadtkern von Girne mit seinen alten Häusern und den engen Gässchen, die zum Meer hinabführen.
Unser Ziel ist der alte Hafen mit seiner mittelalterlichen Befestigungsanlage, der Burg. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem kleinen Busparkplatz vorbei, auf dem gerade der Hotelshuttlebus des Onar-Hotels seine Fahrgäste entlässt. Das macht uns darauf aufmerksam, dass wir mehr als eine Stunde gewandert sind vom Hotel bis hierher. Wir merken uns den Platz, denn der Bus wird dort um 16:00 Uhr die Hotelgäste wieder abholen. Wenn dann noch Plätze frei sein sollten, könnten wir auch mitfahren, heißt es.
Der Weg führt uns an einer Mauer entlang, über die wir von oben auf den alten Hafen hinabschauen können. Ein großartiger Ausblick. In dem halbkreisförmigen Hafenbecken liegen viele Yachten und Fischerboote. Am Kai reiht sich ein Restaurant mit Außengastronomie ans andere. Die Hafenausfahrt ist gesäumt von den massiven Mauern der Hafenfestung auf der einen Seite und einer langen gemauerten Mole auf der anderen Seite, die weit über die Festungsanlage hinaus reicht.
Wir steigen eine schmale Steintreppe zum Hafen hinab und spazieren am Kai entlang. Vor jedem der Restaurants steht ein Kellner, der uns überreden will, in seinem Lokal Platz zu nehmen. Es ist noch viel zu früh für eine Mahlzeit. Wir versprechen, später zurückzukehren, was wir auch tatsächlich einhalten werden. Am Ende der Restaurantmeile befindet sich eine Touristeninformation, in der wir uns beraten und mit Material ausstatten lassen. Dazu gehört auch ein detaillierter Stadtplan mit Symbolen aller Sehenswürdigkeiten. Auf ihm entdecken wir ein antikes römisches Theater, das nur einige hundert Meter hinter der Burg direkt am Strand liegen muss. Wir rechnen uns aus, dass man es von der Spitze der Mole aus wird sehen können.
Unsere Sorge um das Wetter hat sich inzwischen gelegt. Hier am Meer scheint die Sonne von einem wolkenlosen blauen Himmel herab. Über dem Kyreniagebirge sieht der Himmel allerdings immer noch sehr düster aus. Wir spazieren auf der Mole entlang und bewundern auf der gegenüberliegenden Seite die riesige Festung mit ihren dicken hohen Mauern und dem mächtigen Rundturm am Hafeneingang. Wir gehen bis ans Ende des asphaltierten Weges. Danach folgen nur noch aufgeschüttete schwere Felsbrocken. Wir halten Ausschau nach dem römischen Theater, können es aber nicht entdecken. Wir vergleichen die Gebäude am Ufer noch einmal ganz akribisch mit unserer detaillierten Karte. Es könnte sein, dass die Festungsanlage die Stelle verdeckt, wo sich das Theater befindet. Wir sollten vielleicht über die Felsbrocken bis ans Ende der Mole klettern. Das ist aber nicht so einfach. Zwischen den großen Steinen klaffen breite Lücken. Wir wagen es nicht. Vielleicht sollten wir vor einer solchen abenteuerlichen Kletterpartie lieber jemanden fragen, der sich hier auskennt. Zwei ältere Zyprioten sitzen auf den Molensteinen und picknicken mit einem Fläschchen Bier. Die zwei sind doch mit Sicherheit von hier und können uns sagen, ob man das Theater vom Ende der Mole aus sehen kann. Ich winke ihnen schon von Weitem zu und balanciere abenteuerlich zu ihnen hinüber. Sie erwidern freundlich meinen Gruß. Ich stelle ihnen meine Frage auf Englisch und zeige ihnen die Abbildung des antiken Theaters in unserem Stadtplan. Sie schütteln beide den Kopf und erklären, dass sie nicht gewusst hätten, dass es dort ein Theater gebe. Ich bedanke mich bei den beiden und verabschiede mich. Sie wünschen uns noch einen schönen Tag in Girne. Das Rätsel des römischen Theaters können wir bis zum Ende unserer Studienreise nicht lösen. Niemand weiß etwas darüber und das Gelände um die bezeichnete Stelle herum ist unzugänglich.