
Angekommen auf dem Busparkplatz der Altstadt von Famagusta zeigt uns Selim den Othello-Turm, der Teil einer Zitadelle in der massiven venezianischen Stadtmauer ist. Sie gilt als der Schauplatz, wo Othello, der Mohr von Venedig aus Shakespeares Drama, seine Gattin Desdemona aus Eifersucht ermordet. Der Name „Othelloturm“ stammt aus der Zeit der englischen Kolonialherrschaft. An dieser Stelle der Stadtmauer, hinter der der Hafen von Famagusta verborgen liegt, werden wir uns in zweieinhalb Stunden um 12:45 Uhr wieder treffen.
Zunächst gehen wir gemeinsam als Gruppe durch einige von ärmlich wirkenden Häusern und kleinen Speiselokalen gesäumten Straßen zur St.-Nikolaus-Kathedrale, der heutigen Lala-Mustafa-Pascha-Moschee. Vor den Lokalen stehen Kellner mit Speisekarten und versuchen uns zu einem Imbiss hinein zu locken. Wir vertrösten sie auf später. An der imposanten gotischen Kathedrale angekommen, nehmen wir unter einem uralten Maulbeerfeigenbaum Platz, der genauso alt sein soll wie das Gotteshaus und siebenmal im Jahr Früchte tragen soll.
Selim hält uns einen Vortrag über die Geschichte der Kathedrale. Die Bauzeit dieses schönsten gotischen Bauwerks des gesamten Mittelmeerraumes habe nur 14 Jahre betragen, nämlich von 1298 bis 1312. Die Westfassade der dreischiffigen Basilika ähnelt sehr derjenigen der Kathedrale von Reims. Famagusta war eine reiche Stadt damals zur Zeit der Lusignans. Der fränkische Kreuzritter Guido von Lusignan hatte 1192 die Insel Zypern vom englischen König Richard Löwenherz gekauft und ließ sich zum ersten König von Zypern krönen. Famagusta wurde katholischer Bischofssitz. Die St.-Nikolaus-Kathedrale war Krönungskirche für die Könige von Jerusalem, während die Könige von Zypern in Nikosia gekrönt wurden. Nach der Eroberung Famagustas durch die Osmanen im Jahre 1570 unter dem General Lala Mustafa Pascha wurde die Kathedrale in eine Moschee umgewandelt und fortan „Lala-Mustafa-Pascha-Moschee“ genannt. Der reiche Sklupturenschmuck sowie alle Bilder wurden entfernt, weil im Islam Bilder verboten sind. Stattdessen baute man seitlich an die Westfassade ein Minarett an. Famagusta besaß zur Zeit der osmanischen Eroberung viele christliche Gotteshäuser. Die meisten wurden in der Folgezeit als Lagerhallen oder zu anderen Zwecken verwendet. Andere verfielen einfach. So gibt es heute in Famagusta eine Vielzahl von Ruinen. Außer halbverfallenen Kirchen sieht man auch Ruinen von Kreuzritterpalästen und Wohnhäusern der reichen Kaufleute.
Wir gehen in die Moschee hinein. Sie ist ganz ausgelegt mit einem Teppich, den wir ohne Schuhe betreten. Die Wände sind ganz kahl und doch wirkt der Raum durch seine großartige himmelwärts strebende Architektur beeindruckend, ja geradezu erhebend.

Die Reisegruppe löst sich nun auf und jeder geht auf eigene Erkundungswege durch die Altstadt. Gleich gegenüber der Westfassade der Kathedrale schauen wir auf die ehemalige Peter-Paul-Doppelkirche, eine massiv gebaute, fast wie eine Festung wirkende byzantinisch-gotische Kirche. Auch sie wurde etwa um 1600 in eine Moschee verwandelt. Später nutzte man sie zu Lagerzwecken oder auch vorübergehend als Bibliothek. Heute steht sie einfach leer. Auch hier treten wir ein. Das Bauwerk ist noch sehr gut erhalten. Der Innenraum ist völlig kahl, Wände und Säulen aus rohem Stein, der glatte Steinboden in einem großquadratischen Muster gelb-rot gefärbt. Ich lehne mich an eine der massiven Säulen und atme die Leere und die Stille ein. Weiter hinten steht eine Tür weit offen, durch die gleißendes Licht hereinflutet und den gemusterten Boden in pures Gold verwandelt. Ich bin wie gebannt von dem Augenblick reiner Gegenwart in dem uralten Gemäuer.

Wir streifen noch ein wenig durch die Altstadtstraßen, besuchen einige der zahlreichen Ruinen und klettern schließlich auf den Erdwall am Stadtrand, in den die venezianische Stadtmauer eingebettet ist. Wir hoffen, von dort oben einen Blick auf den Hafen von Famagusta erlangen zu können. Und tatsächlich bekommen wir nicht nur einen herrlichen Blick auf das Hafengelände, sondern auch einen Rundblick über die ganze Altstadt. Wir wandern auf der Stadtmauer entlang bis zum Othelloturm, wo wir bequem über eine Steintreppe wieder hinabsteigen können.




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