
Samstag, den 3.3.2018
Ich erwache früh. Es ist 6:30 Uhr Ortszeit. Ich habe schlecht geschlafen. Die ganze Nacht schien der Vollmond zu uns hinein und das Geräusch eines Generators draußen ließ sich nicht überhören. Ich sehne mich nach der Euphorie des gestrigen Abends. Doch schon stellt sich diese wieder ein, als ich auf den Balkon hinaustrete und über dem Meer die Sonne aufgehen sehe.
Auf dem heutigen Tagesprogramm steht das antike Salamis, das Kloster St. Barnabas und die Altstadt von Nikosia. Die Abfahrt mit unserem Bus ist schon auf 8:30 Uhr anberaumt. Da es so überaus viele Busse gibt, die alle heute dieselben Punkte anfahren, müssen die Abfahrten zeitversetzt gestaltet werden. Die erste Reisegruppe startet sogar noch früher als wir. Morgen werden wir später abfahren. Das hat man uns versprochen. Frühstück gibt es schon ab 6:00 Uhr. Wir schaffen es knapp, pünktlich am Bus zu sein. Die Fahrt nutzt unser Reiseleiter Selim, um uns einzustimmen auf das Programm und uns die alltäglichen Gepflogenheiten und Regeln zu erklären, die es zu beachten gilt. Mit einem Mikrofon in der Hand steht er vorne im Bus und schaut uns an während seiner Ansprache. „Liebe Damen und Herren!“ So klingt seine sympathische Anrede für uns. Es sei eine Kulturreise, die wir gebucht hätten, kein Badeurlaub. Und das nehme er ernst. Er wolle uns eine ganze Menge Kultur bieten auf unserer Reise. Er teilt uns mit, dass entgegen dem ursprünglich vorgesehenen Programm zwei Halbtagesausflüge zusammengelegt worden seien und wir dadurch insgesamt zwei freie Tage bekämen. Wir wissen nicht so recht, ob uns das gefällt.
Das erste Ziel des heutigen Tages ist die antike Stadt Salamis. Wir haben riesiges Glück mit dem Wetter. Wir steigen unmittelbar vor den antiken Ruinen aus dem Bus. Selim schart uns um sich und trägt uns sehr sachkundig und unterhaltsam die historischen Ereignisse und die Mythen vor, die mit diesem Ort verbunden sind. Einem Mythos nach hat Teukros, der Sohn des Telamon, des Königs der griechischen Insel Salamis, die Stadt gegründet und sie nach seiner Heimatinsel Salamis genannt. Nach der Zerstörung Trojas im trojanischen Krieg (1100/1200 v. Chr.) soll Teukros auf Zypern gelandet sein und dort Zeus einen Tempel errichtet haben.
Die Ruinen von Salamis sind Überreste aus der römischen Zeit (1. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. nach Chr.). Zypern ist römische Kolonie gewesen. Besonders interessant ist das römische Theater mit seinen etwa 15.000 Zuschauerplätzen wie es in vielen Reiseführern heißt. Selim schätzt die Zahl der Plätze eher auf 10.000. Multipliziere man diese Zahl mit 7, so erhalte man die etwaige Einwohnerzahl der antiken Stadt. Von den oberen Rängen des zum Meer hin geöffneten halbrunden Theaters habe man einen weiten Rundblick über die Landschaft und das Meer. Gleich nebenan befindet sich ein ebenso interessantes großes Areal, ein antikes Gymnasium. Eine säulenumstandene Fläche diente den Männern als Sportplatz für athletische Übungen. Im Anschluss daran befanden sich Schwimmbecken und Thermen. In der Südwestecke des Areals kann man die Reste einer Gemeinschaftslatrine bewundern, die Platz für 44 Sitznachbarn bot, was einen Hinweis darauf gibt, wie groß der Menschenansturm im Gymnasium gewesen sein muss. Wir erfahren, dass sich die Athleten gerne ausgiebig unterhielten während ihrer Sitzungen auf der Latrine. Die Marmorsitze wurden vor dem Gebrauch von Sklaven vorgewärmt. Man saß hier ohne störende Trennwände unter Sonnensegeln und hatte einen freien Blick auf das sportliche Treiben im Gymnasium. Unter der Latrine führt eine Rinne aus Stein entlang, die als Spülwasserkanal diente.
In der Nordostecke des Geländes befindet sich eine kopflose Statue der Göttin Persephone. Selim erklärt uns, warum so häufig bei antiken Statuen der Kopf fehle. Reiche Kaufleute hätten sich gerne als Statue verewigen lassen. Die Körper seien schon vorgefertigt gewesen und nachträglich mit dem individuellen Kopf versehen worden. Die Verbindung von Kopf und Körper sei aufgrund dessen nicht sehr stabil gewesen und bei Erdbeben habe das häufig zum Verlust der Köpfe geführt.
Unsere Reisegruppe hört Selims lebendigem Vortrag sehr aufmerksam zu. Es werden immer wieder interessierte Fragen gestellt, die Selim auf seine kurzweilige Art beantwortet. Zum ersten Mal bietet sich uns die Gelegenheit, die Mitreisenden näher in Augenschein zu nehmen. Bei den Malzeiten in dem riesigen Speisesaal des Hotels sitzen wir nicht gruppenweise zusammen. Die aberhundert Hotelgäste setzen sich wie sie gerade kommen. So konnten wir unsere Reisegruppe bisher noch nicht wirklich erfassen. Während der Fahrt im Bus sieht man nur seine nächsten Nachbarn. Wie wir jetzt beobachten können, gibt es eine Reihe von Alleinreisenden, viele Paare, darunter auch Freundinnen- oder Freundespaare und einige Grüppchen von vier bis sechs Personen. Zu letzteren gehören meine speziellen vier Freundinnen, auf die ich immer noch ein wenig argwöhnisch schaue. Sie ihrerseits scheinen mich gar nicht zu beachten. Die meisten Mitreisenden schätze ich altersmäßig auf über 60 Jahre. Nur wenige Personen scheinen mir jünger zu sein.
Nach dem Vortrag von Selim erhalten wir Gelegenheit, noch eine Stunde auf eigene Faust durch die Ausgrabungsstätte zu schlendern. Nach einem Rundgang durch das Ruinenfeld rund um das Gymnasium gehe ich hinüber zu dem gigantischen römischen Theater. Ich steige die etwa 20 noch erhaltenen Sitzstufenreihen hinauf und genieße von oben den prachtvollen Ausblick auf die Ruinen von Salamis und das Meer.

der Text ist sehr unterhaltsam durch die persönliche Sichtweise und angefüllt mit lebendiger Information. Vielen Dank!