Tag 3: Trondheim

4. Juli. In der Nacht habe ich viel besser geschlafen. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass wir die Raumtemperatur höher gestellt haben. Gegen halb acht bin ich aufgewacht. Wieder bin ich mit dem Aufzug zuerst ins Fitnessstudio hochgefahren. Nach dem Training habe ich dort oben geduscht, was wesentlich angenehmer ist, als das Duschen in der Kabine. Als ich zurückkomme zu Johannes, ist dieser auch bereits aufgestanden. Wir gehen frühstücken. Die Reisenden, die heute an einem der Trondheimausflüge teilnehmen, sind schon zum Aufbruch versammelt, so dass der Frühstücksraum relativ leer ist. Wir finden zum ersten Mal einen Platz am Fenster. Das Schiff hat schon um 8:30 Uhr in Trondheim angelegt und wir schauen seitwärts auf das Stadtpanorama. In der Ferne sieht man die lange grüne Spitze des Nidaros-Domes, des Nationalheiligtums Norwegens. Es handelt sich um einen mittelalterlichen Bau, der im 11. Jahrhundert über dem Grab des heiligen Olaf errichtet wurde. Einige Teile sind im romanischen Stil erbaut, das Hauptschiff und der Zentralturm kamen erst 100 Jahre später hinzu und zeigen den gotischen Stil. Wenn wir es schaffen, um 10 Uhr das Schiff zu verlassen, haben wir zwei Stunden Zeit für einen Stadtrundgang. Wir wollen vor allem den Dom anschauen, Norwegens bedeutendsten mittelalterlichen Sakralbau.

Türmchen des Nidarosdoms in Trondheim

An unserem Frühstückstisch kommt gerade das sportliche Ehepaar aus Berlin vorbei und begrüßt uns freundlich. Bei unserem gestrigen Gespräch hatten sie uns außer dem Dom auch noch empfohlen, die Speicherstadt anzuschauen.

Um Punkt 10:00 Uhr verlassen wir das Schiff über eine kleine Rampe. Wir durchqueren ein Stück des Hafengebietes, dann laufen wir eine längere Strecke an einem Kai entlang, wo uns von rechts eine Masse von Touristen zuströmt, die alle gerade das Kreuzschiff AIDA verlassen haben, um sich die Stadt Trondheim anzuschauen. Hinweisschilder am Wegesrand leiten uns sehr gut in die Innenstadt. Leider hören die Hinweise auf die Touristeninformation irgendwann auf. Wir fragen eine junge Frau, die in einem Straßencafé die Tische reinigt, wo die Touristeninformation sei. Sie antwortet in akzentfreiem Deutsch, dass sie das leider nicht wisse. Ich frage sie, ob sie Deutsche sei. Sie bejaht. Wir äußern, dass Norwegen sehr attraktiv zu sein scheint für andere Nationalitäten. Wir hätten schon mehrere Menschen getroffen, die hierher umgesiedelt seien. Sie erzählt uns, dass sie schon seit acht Jahren hier lebe und sich hier sehr wohl fühle.

Wir gehen die Straße ein Stück weiter und sehen jetzt wieder einen Hinweis auf die Touristeninformation. Gleich links um die Ecke liegt das Gebäude. Wir besorgen uns dort eine Straßenkarte von Trondheim und einen Trondheimführer. Ich nehme noch ein Faltblatt mit, das dort offensichtlich jemand liegen lassen hat. Es zeigt sich, dass es für uns noch sehr nützlich sein wird. Z.B. informiert es sehr ausführlich über den Dom und hat in einer kleinen übersichtlichen Karte alle wesentlichen Sehenswürdigkeiten markiert.

Vår frue kirke, Trondheim

Wir sehen den Dom schon von ferne und schlagen diese Richtung ein. Bald stoßen wir auf eine große Kirche, die wir irrtümlich für den Dom halten. Wir gehen hinein und schauen uns den schönen Altar mit einer Darstellung des letzten Abendmals an. In einer kleinen Seitenkapelle singe ich ganz leise das Dona nobis. Vor einem Marienbildnis sind Kerzen aufgestellt. Ich zünde drei Kerzen an für meine drei Toten. Erst als wir später den Eingang zum Aufstieg in den Turm suchen und nicht finden, werden wir skeptisch. Der Turm sieht auch gar nicht nach gotischem Stil aus. Es handelt sich hier gar nicht um den Dom, sondern um die Vår frue kirke, deren Bau ins 12. Jh. zurückgeht.

Das letzte Abendmahl in der Vår frue kirke, Trondheim

Wir müssen noch ein paar Hundert Meter weiter gehen bis wir den Dom erreichen. Er ist von einem schönen Park umgeben und imponiert schon von seiner Nordfassade her total. Lauter reich verzierte Türmchen mit steinernen Ornamenten vielen kleinen Säulen, wundervoll umrahmte Fenster, verschachtelte Dächer. Noch atemberaubender aber ist die Westfassade mit ihren großen mit Ornamenten umrahmten Fenstern und Türen und der Vielzahl von Facetten, in denen sich jeweils eine Steinfigur befindet.

Wir freuen uns darauf, die Kathedrale zu betreten. Zielstrebig marschieren wir durch das Hauptportal und werden alsbald von einem jungen Domschweizer im roten Gewand gefragt, ob wir denn ein Ticket besäßen. In diesem Moment wird uns bewusst, dass wir überhaupt kein Geld mitgenommen haben vom Schiff. Wir schildern ihm unsere Situation, allein es hilft nicht. Ich versuche, Johannes zu überreden, hinten herum an einer Absperrung vorbei ins Innere der Kirche zu schleichen. Johannes lehnt das entschieden ab. Draußen hat Johannes die wunderbare Idee, dass wir einen Heraustretenden fragen könnten, ob er uns seine Eintrittskarte überlasse. Wir hatten beobachtet, dass die Karten nicht entwertet werden. Johannes ist aber nicht bereit, selbst Leute anzusprechen. „Du machst das viel besser als ich.“ Und tatsächlich ein heraustretendes deutsches Paar ist sofort bereit, uns ihre Karten zu schenken. Wir fragen noch, wie wir das wieder gutmachen können. Es hätte ja sein können, dass die beiden auch mit den Hurtigruten reisen. Sie stammen aber von dem Kreuzfahrtschiff AIDA.

Wir sind sehr glücklich, in den Dom eintreten zu dürfen. Fotographieren ist verboten. Das verschafft Freiheit. Ich lasse den Raum ganz anders auf mich wirken, wenn ich nicht nach Fotomotiven ausschaue. Großartig wirkt alles auf mich. Ich blicke hinauf zu der riesigen silberglänzenden halbrund geformten Orgel im Westteil des Hauptschiffes. Darüber leuchtet ein rosettenförmiges vielfarbiges Fenster. Überall im Dom wandeln schauende Menschen, verschiedene Gruppen lauschen ihrem Führer. Ich suche eine Nische für das Dona. Ich finde keine einzige Ecke, in der nicht irgendein Touristentisch aufgebaut wäre mit zugehörigem Verkäufer. Erst ganz hinten, dort wo ich gerne hinter der Absperrung hineingeschlichen wäre, gibt es einen versteckten Raum. In dem singe ich leise das Dona nobis.

Hier gibt es endlich auch den berühmten Turm, den man besteigen kann. Allerdings geht dies nur als Gruppe und nur mit einem weiteren Ticket und was die Sache ebenfalls für uns unmöglich macht, erst um halb zwölf. Um 10 vor zwölf spätestens müssen wir wieder am Schiff sein.

Blick von der old town bridge auf die Speicherstadt von Trondheim

Für die Rückkehr wählen wir einen Weg, der am Kanal entlang führt, denn hier befindet sich die berühmte old town bridge über den Nidelva-Kanal sehen, von der aus man einen spektakulären Blick auf die alte Speicherstadt hat.

Wir kommen gerade rechtzeitig zum Schiff zurück. Um 12:10 Uhr legen wir mit 10-minütiger Verspätung ab. Zum Mittagessen gehen wir nach dem gestrigen Desaster mit der zirkulären Buffetschlange heute deutlich später. Und wirklich gibt es mit dem Buffet diesmal keine Probleme. Allerdings sind fast alle Plätze besetzt. Wir setzen uns zu einem Paar an einen Tisch am Fenster. Die beiden stammen aus Schweden. Sie wohnen an einem großen See, der bei Touristen sehr beliebt sein soll, etwa 100 km von Malmö entfernt. Sie sind schon mit Essen fertig und verabschieden sich bald. Es schmeckt uns wieder einmal vorzüglich. Ich wähle zur Abwechslung diesmal Fleisch statt Fisch, kleine Hackfleischbällchen mit herrlicher dunkler Soße.

Ich muss zwischendurch einmal festhalten, wie wundervoll es ist, hier abends im Panoramaraum am Fenster zu sitzen und die Erlebnisse des Tages aufzuschreiben. Draußen scheint noch die Sonne und bildet auf dem Wasser diese flirrende genau auf mich zulaufende Glitzerstraße. Kleine steinerne Inselchen und im Hintergrund schroffe Felsenberge mit Schneebelag in den Höhen ziehen kontinuierlich an mir vorbei. Aus dem Lautsprecher tönen leise unaufdringliche Songs. Ich denke über die Mitternachtssonne nach, die wir morgen zum ersten Mal erleben könnten, und über die prinzipielle Unmöglichkeit, das Spektakuläre des Phänomens Mitternachtssonne im Foto festzuhalten.

Nach dem Mittagessen setzen wir uns zunächst nach draußen. Es ist aber ziemlich windig und wir wechseln nach einer Stunde in den Panoramaraum zum Lesen, Schreiben, Fotos anschauen, Nickerchen machen. Nach einer Weile habe ich das Bedürfnis aufzustehen und etwas zu unternehmen. Ich beschließe, mich in den Whirlpool zu legen. Zuerst schaue ich, ob sich schon jemand darin befindet. Ein Paar liegt im sprudelnden Becken und schwärmt. Ich solle dazu kommen. Ich packe schnell eine Badetasche und begebe mich in den Umkleideraum des Fitness- und Saunacenters. Im Sportbadeanzug trete ich dann auf die Außentreppe und steige zu den beiden Whirlpools hinab. Inzwischen sprudelt der andere Pool. Das Ehepaar hat sein Becken bereits verlassen. Ich steige in das herrlich heiß sprudelnde Wasser, strecke mich ganz aus und lege meinen Kopf hinten auf die Überlaufplattform. Die Sonne strahlt von einem wolkenlosen Himmel auf mich nieder. Nach einer Weile drehe ich mich um und schaue über das glitzernde Meer auf die kargen Berge. Kann es einem besser gehen? Welch eine Dekadenz. Lange liege ich so bis das Sprudeln endet. Eine zweite Frau steigt gerade im Badeanzug die Treppe hinab. Sie begibt sich in den anderen Pool, der jetzt angefangen hat zu sprudeln. Ich bleibe im glatten unbewegten Wasser liegen. Eigentlich gefällt es mir ohne das Brodeln noch besser. So lässt es sich draußen aushalten trotz des kühlen Windes.

Ich kleide mich wieder an und kehre zu Johannes in den Panoramaraum zurück. Dort bleiben wir sitzen bis wir zum Abendessen aufbrechen. Um 19:30 Uhr beginnt unsere Essensschicht. Unser Tisch hat die Nummer 23. Bisher haben wir noch nicht an diesem festen Platz gegessen, weil am ersten Abend freie Platzwahl herrschte und wir am zweiten Abend mit dem Geirangerausflug auswärts gegessen haben. Wir sind sehr gespannt, wer für den gesamten Rest der Reise unsere Tischnachbarn sein werden. Als wir unseren Platz einnehmen, sind wir die ersten an den zwei benachbarten durch eine Stehlampe getrennten Vierertischen. Schon bald tritt ein weiteres Paar auf. Sie nehmen am Fenstertisch Platz ohne zu grüßen. Wir sprechen sie an und erfahren, dass sie auch Deutsche sind. Neben ihnen nimmt noch ein deutsches Paar seine Plätze ein. Zu einem späteren Zeitpunkt der Reise werden wir die beiden näher kennen lernen. Die Plätze neben uns sind immer noch frei. Da plötzlich tauchen zwei beleibte Herren mittleren Alters auf und stellen sich gleich als Bernd und Willi vor. Ob das „Du“ ok sei. Ja klar, sagen wir, wir seien ganz unkompliziert. Das Gespräch zwischen uns vieren kommt zügig und locker in Gang. Die beiden sind ein Paar. Vor einem Jahr haben sie sich verpartnert. Willi ist schon 70 Jahre alt, was man ihm überhaupt nicht ansieht. Das wird ihm häufig gesagt, wie wir erfahren. Er lebt in Dortmund. Bernd ist 20 Jahre jünger, wird aber oft für den Älteren von beiden gehalten. Er wohnt und arbeitet in Köln. Die beiden wollten eigentlich zusammenziehen. Bernd hätte fast eine Stelle in Bochum bekommen. Er ist Designer. Das habe leider nicht geklappt. Also sehen sich die Jungs nur am Wochenende, was sie aber nicht so schlimm finden. Willi erzählt uns, dass er Lehrer gewesen sei und jetzt mit seinem großen Freundeskreis in Bochum seinen Ruhestand genieße. Die beiden sind überaus sympathisch. Wir sind glücklich, mit unseren Tischnachbarn ein solches Glück gehabt zu haben.

Torgatten, der Berg mit dem Loch zum Durchschauen in Norwegen

Den Rest des Abends verbringen wir wieder in der oberen Decklounge. Nach Mitternacht passieren wir den berühmten Felsen mit einem Loch zum Durchschauen Er heißt Torgatten. Als der Berg in Erscheinung tritt, strömen alle Leute ans Fenster. Unzählige Kameras versuchen, das geologische Wunder festzuhalten. Jetzt endlich kann man frontal durch das Loch hindurch schauen. Wir gehen aufs Außendeck, um ein klareres Foto machen zu bekommen. Dort treffen wir auf die Berliner. Die waren ja schon einmal hier und meinen enttäuscht, das Loch sei früher größer und spektakulärer gewesen.

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