3. Juli. In der Nacht habe ich zuerst gar nicht gut geschlafen trotz Schlafbrille und Ohrstöpsel. Aber irgendwann muss ich wohl doch tief eingeschlafen sein. Es ist jetzt 7:00 Uhr. Wenn der Pool intakt wäre, dann wäre das meine Zeit, schwimmen zu gehen. So begebe ich mich ins Fitnessstudio, fahre ein wenig Rad und absolviere meine übliche Rückengymnastik. An Deck ist fast noch kein Mensch. Eine wundersame blasse Helligkeit liegt über dem Wasser.
Johannes ist inzwischen auch aufgestanden und wir gehen zum Frühstück. Wieder sind alle Tische am Fenster besetzt. Wir wollen uns zu einer einzelnen Dame, die an einem Vierertisch sitzt, dazusetzen. Abwehrend hebt sie die Hand und sagt: „Dieser ganze Tisch ist besetzt.“ Dann merkt sie, wie das wohl auf uns wirken muss und lächelt abmildernd. Ich meine zu ihr, dass wir uns dann wohl leider nicht kennen lernen würden. Ja, das stimmt, sagt sie bedauernd. Wir finden einen anderen Fenstertisch mit einer einzelnen Dame. Diese weist nur auf den ihr gegenüberliegenden Platz. Da säße ihr Mann. Wir nehmen Platz. Die Dame unserer ersten Anfrage kommt nun an unserem Tisch vorüber und meint, sie sei selbst am falschen Tisch gewesen. Der sei für Rollstuhlfahrer reserviert. Dieser Tisch wird noch einmal eine gewisse Rolle spielen für uns.

Wir kommen ins Gespräch mit der Dame und ihrem Mann, der inzwischen auch eingetroffen ist. Die beiden sind etwa in unserem Alter und wohnen in Berlin. Sie stammt aus Ostberlin, er aus Westberlin. 1989 haben sie sich bei der Wende kennengelernt. Sie hat ganz kurzes dunkles Haar und wirkt sehr sportlich. Auch ihr Mann ist ein sportlicher Typ. Die beiden sind genauso traurig darüber wie ich, dass der Pool nicht benutzt werden kann. Sie hatten sich auch darauf gefreut, jeden Tag eine Runde schwimmen zu können. Wenigstens seien die beiden Whirlpools in Betrieb.
Der Himmel ist heute bewölkt. Wir setzen uns nicht an Deck, sondern suchen den Panoramaraum auf. Einen Fensterplatz bekommen wir nicht. Einige Leute haben Fenstersessel mit Jacken belegt. Wir setzen uns auf die Bank, die den Innenraum der Lounge umrahmt, in dem abends immer Fußball geschaut wird. Ich schreibe auf dem Laptop, Johannes liest in seinem Roman. Als nach einer Stunde immer noch nicht die belegten Plätze eingenommen sind, veranlasse ich eine Durchsage. Die Dame am Ausflugstresen meint zunächst, sie sei keine Sittenpolizei, macht dann aber doch die Durchsage, woraufhin die Jacken tatsächlich umgehend entfernt werden. Wir sitzen gut auf der Bank und haben wunderbare Sicht zur rechten Seite und auch nach vorn. Also bleiben wir sitzen. Ich genieße es in vollen Zügen, hier zu sein.
Wir gehen schon um halb zwölf zum Mittagsbuffet, weil wir um 13:20 Uhr am Treffpunkt für den Ausflug zum Geiranger Fjord sein sollen. Die Exkursion haben wir für 236 Euro pro Person zusätzlich gebucht. Wir wählen einen Vierertisch in der Mitte des Raumes. Diesmal setzt sich niemand zu uns. Die Schlange am Buffet hat weder einen Anfang, noch ein Ende. Wir umkreisen sie einmal ganz und stellen fest, dass sie einen geschlossenen Kreis bildet. Auch bewegt sich die zirkuläre Schlange nicht. Ich schaue in den Suppentopf, indem ich mich sanft zwischen zwei Personen hindurch dränge. Kürbiscremesuppe. Ich besorge mir einen Suppenteller und zwänge mich noch einmal dazwischen, um mir Suppe zu nehmen. Damit kehre ich gleich zu meinem Platz zurück. Die Suppe mundet hervorragend. Später lässt der Ansturm auf das Buffet deutlich nach und ich hole mir noch ein wenig kaltes Fleisch mit Salat und zum Abschluss eine Scheibe Brot mit Käse. Johannes hat verschiedene Arten von Fleisch und geräuchertem Fisch mit Brot auf seinem Teller. Wir sind bereits in den Geiranger Fjord eingelaufen. Die steilen Felswände links und rechts rücken immer näher ans Schiff heran. Schließlich brechen wir in unsere Kabine auf, um uns für den Ausflug anzuziehen. Unten angekommen hören wir die Durchsage, die auf die fünf Schwestern und den Schleier hinweist, zwei sehr berühmte Wasserfälle, die wir nun leider verpassen.

Als wir zum Treffpunkt gehen, strömen die Ausflugteilnehmer bereits in einen Sammelraum, von dem aus später ausgestiegen wird aus dem Schiff. Wir schließen uns dem Strom an. In dem Sammelraum wird eine riesige Luke geöffnet. Draußen legt ein kleineres Boot an, aus dem zuerst jede Menge Leute aussteigen, um unser Schiff zu betreten. Dann drängt unsere Gruppe in das kleine Schiff. Jeder versucht, einen guten Platz zu ergattern, nichtsahnend, dass wir in drei Minuten schon am Anleger des Ortes Geiranger wieder aussteigen. Dort stehen fünf Busse für die Weiterfahrt bereit. Wir werden dem Bus 2 zugewiesen, der nur für deutsche Gäste vorgesehen ist. Unsere Reiseleiterin Bärbel ist Deutsche. Sie lebt bereits seit 10 Jahren in Norwegen. Sie sächselt ein wenig und ist sehr direkt und lustig. Wir werden den ganzen Tag lang noch viel Spaß mit ihr haben. Nach ihren kleinen Scherzchen und Schäkereien mit dem norwegischen Busfahrer Egil lacht sie laut und herzhaft ins Mikrophon. Das ist so ansteckend, dass die Dame im roten Anorak, die schräg vor mir sitzt, sich jedes Mal umdreht und lachend Blickkontakt mit mir aufnimmt.

Über den Ausflug in den Geiranger-Fjord und über die berühmte Serpentinenstraße Trollstigen berichte ich anschließend in einem eigenen Beitrag.
Der Ausflug ist in Molde mit einem gemeinsamen Abendessen zu Ende gegangen. Gegen 22:00 Uhr erwarten wir am Anleger von Molde das Einlaufen unserer Finnmarken. Nach und nach treffen die Ausflugsteilnehmer hier ein. Wir sehen die beiden Sportlichen vom Frühstück wieder. Sie waren in Bus 1 gelandet und schwärmen ebenfalls von ihrer Reiseleiterin, die so unglaublich kompetent gewesen sei und an einem Stück erklärt und geredet hätte.
Auf dem Schiff begeben wir uns wieder bis fast Mitternacht in den Panoramaraum. Ich besorge mir ein Bier im Restaurant (von dem Gesamtpaket, dass wir für die ganze Reise gebucht haben) und Johannes trinkt ein Glas Weißwein. Wir schauen auf die vorübergleitende Landschaft, ich schreibe auf dem Laptop den Bericht vom heutigen Tag und lese anschließend in meiner Urlaubslektüre. Bei dem Roman handelt es sich um eine Kriminalgeschichte, die in Norwegen spielt und mit den Lachszuchtfarmen und den Problemen, die sie den wilden Lachsen bereiten, zu tun hat. Von diesen Problemen, u.a. von der Lachslaus, einem Schalentier, das sich in den Schuppen der Zuchtlachse einnistet, war heute bei unserem Ausflug die Rede gewesen. Es ist schön, dass der Roman genau hier spielt, wo wir uns gerade befinden.
