Francesco Laurana

Im Vordergrund sehe ich die Büste der Isabella von Aragon und links unten eine verkleinerte Profilansicht derselben. Abgetrennt durch einen breiten in der Mitte unterbrochenen orangen Balken ragt hinter der Büste eine erschreckend wirkende schwarz-weiß gezeichnete weibliche Gestalt hoch auf. Ihr Gesicht steht in fast jeder Hinsicht in auffälligem Kontrast zum Antlitz der Isabella: Es sieht alt aus, die Augen sind weit aufgerissen, die Lippen voll, das Haar offen. Das eigentlich Erschreckende aber sind die orangefarbenen Gewächse, die aus einem ihrer Augen quellen, sich über ihre Wange schlängeln oder in ihrem Kopfhaar stecken. All dies lässt Assoziationen von Tod und Verwesung aufkommen, noch unterstrichen durch die fehlende Kolorierung der ganzen dämonischen Gestalt, die zugleich jedoch höchst lebendig und präsent, ja geradezu herrisch wirkt. Diese Mehrdeutigkeit gibt Rätsel auf und stellt die gezeichnete Figur noch deutlicher in einen Gegensatz zu der Büste. Isabella mit ihrem gesenkten Blick, dem glatten jungen Gesicht und dem gezähmten Haar wirkt keusch und rein, noch unberührt vom Leben. Die gezeichnete Figur dagegen gleicht einer Femme fatal. Ihr Blick schaut leer. Sie hat alles bereits gesehen und erlebt. Das Leben hat sie gezeichnet. Die Gewächse, die ihr Farbe verleihen und sie zugleich zerstören, stehen für ihren exzessiven Lebensstil. Männer spielen darin eine zentrale Rolle. In einem der Gewächse ist ein männliches Antlitz verborgen. Die Gewächse setzen sich als fließende Stoffbahnen durch die Balkenlücke fort und schaffen eine Verbindung zu Isabella. In ihr, der noch ganz Reinen, liegt sie bereits verborgen, die ganze Potenzialität eines gelebten Lebens. Der leere Rahmen im Hintergrund mit dem kleinen orangen Quadrat wird sich füllen.

Alice Schopp

Lauranas Isabella von Aragon in der Serie „Meine Alten Meister“ von Karl Holtschneider

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