Im Gegensatz zu unserem attraktiven Doppelzimmer überzeugt uns das Frühstück im Hotel Lex nicht wirklich. Dafür empfängt uns draußen ein blitzeblauer wolkenloser Himmel. Wir starten gegen 11 Uhr auf die dritte Etappe. Die von Komoot vorgeschlagene Strecke würde heute bis Fröndenberg gehen. Es gab dort aber bei unserer gestrigen Recherche keine zentral liegende Unterkunft mehr für uns. Außerdem ist für Johannes Fröndenberg mit einer negativen Erinnerung aus der Vergangenheit verbunden. Von einem Aufenthalt an diesem Ort will er von Anfang an nichts wissen. Südlich von Fröndenberg, unweit des Ruhrtalradweges, liegt Menden. Dort haben wir Zimmer mit Frühstück im sehr zentral liegenden „Hotel am Rathaus“ gebucht. Röbi, der es ja hasst, auf bereits absolvierten Strecken zurück zu fahren, navigiert uns mit Hilfe von Komoot direkt an das Südufer des Hengsteysees. So fehlt uns zwar ein kleines Stück des Ruhrtalradweges, dafür sparen wir uns aber das langwierige Fahren im verkehrsreichen Hagen. Über eine Brücke überqueren wir zunächst die Volme, einen Nebenfluss der Ruhr, und erreichen wenig später den vollkommen ruhigen Hengsteysee, auf dem keinerlei Freizeitaktivitäten stattfinden.

Wir folgen eine Weile der Radstrecke am Südufer des Sees mit Blick auf das bewaldete Steilufer auf der anderen Seite bis wir plötzlich auf eine Sperrung stoßen. „Wir bauen für die Energiewende heißt es auf einer großen Infotafel“. Hier wird am Bau einer 380-kV-Höchstspannungsleitung von Dortmund bis nach Rheinland-Pfalz gearbeitet. Es geht auf einer Parallelstrecke weiter, die durch einen hohen Bauzaun von der Baustelle abgeschirmt ist. Wäre nicht dauernd dieser Zaun neben einem, könnte es eine zauberhafte Fahrt durch herrliche Natur mit lautem Vogelgezwitscher sein. So aber ist es eine unattraktive schnurgerade Endlosstrecke mit einseitiger Wand. Trotzdem wandeln zahllose Spaziergänger hier, was uns ein wenig wundert.
Irgendwann stoßen wir wieder auf den Radweg am Seeufer und passieren auf der Höhe einer imposanten stählernen Eisenbahnbrücke die Baustelle, wo an der Hochspannungsleitung gearbeitet wird. Johannes ist immer wieder voller Bewunderung für die Power dieser gigantischen Überlandleitungen. Er stoppt und hält uns einen kleinen Vortrag.

Ich nutze den Stopp, um mich im bikeline-Buch zu orientieren, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Wieder einmal haben wir einen Abzweig verpasst. Wir hätten schon vor einiger Zeit auf die andere Seeseite wechseln sollen. Obwohl Röbi eine 180°-Umkehr hasst, bleibt uns diesmal nichts anderes übrig. Die Alternative wäre, über die Autobahnbrücke der A1 zu fahren, die gerade vor uns liegt. Wir passieren wieder die Baustelle und finden alsbald die richtige Stelle, wo wir auf eine kleine Brücke namens Ruhrbrücke Boele geleitet werden, die den Hengsteysee und eine kleine Insel im See überquert. Nah am Ufer geht auf der anderen Seite der Radweg weiter am ruhigen Seeentlang. Auf einer einladenden sonnenbeschienen Bank legen wir eine kleine Raucherpause für Röbi ein. Von hier aus sehen wir in der Ferne das beeindruckende Gitterwerk aus Stahlträgern, das die Eisenbahnbrücke charakterisiert, unter der wir eben noch hergefahren sind. Dahinter erhebt sich imposant ein Wald von Stommasten.

Kaum sitzen wir auf einer Bank, fragt Johannes schon nach seiner „Überbrückung“, womit er sein Proviantbrötchen meint. Es ist aber noch viel zu früh für die Mittagspause, es ist erst halb eins. Wir beschließen, in einer Stunde etwa zu picknicken und setzen die Fahrt fort. Noch zweimal verpassen wir das Abknicken des Ruhrtalradweges, merken es aber mit Hilfe von Komoot immer sehr schnell, weil sich der blaue Punkt, der unseren Standort markiert, plötzlich abseits der blauen Linie unserer Route befindet. Bei Schwerte stoßen wir auf einen attraktiven Picknickplatz mit Bänken. Die Ruhr ist hier sehr breit und über dem Wasser schweben seltsame gespenstisch wirkende Vorrichtungen mit Nummern. Wir finden heraus, dass es sich um eine Kanu-Slalom-Anlage handelt. Die Nummern markieren Tore, die in der entsprechenden Reihenfolge von den Kanus durchfahren werden müssen.

Im weiteren Verlauf unserer Fahrt stoßen wir nochmals auf eine Sperrung. Die Umleitung ist sehr inkonsequent ausgeschildert, so dass wir eine Weile herumirren bis wir den Radweg wieder finden. Am Ende fahren wir in unserer Verzweiflung ein Stück auf der gesperrten Strecke, auf der es aber zum Glück absolut keine Behinderung gibt. Bei Geisecke überqueren wir nochmal die Ruhr und lassen uns von Röbi mittels Komoot nach Menden leiten, wo wir für heute Nacht Hotelzimmer gebucht haben. Menden liegt nicht direkt am Ruhrtalradweg, so dass wir einer selbstgewählten Fahrradstrecke folgen. Sie führt über Rheinen, Hennen und Sümmern über ruhige Radwege durch weite Landschaft mit Feldern. Die Strecke scheint uns der schönste Abschnitt unserer heutigen Tour zu sein. In Menden landen wir direkt mitten auf dem großen Kirchplatz mit seinen vielen Restaurants, Cafés und Bars.

Zu unserer Freude stellen wir fest, dass unser Hotel nur wenige Meter von hier entfernt ist. Wir fahren vor den Restauranteingang des von einem großen Ahorn überschatteten kleinen Hotel-Restaurants und lesen dort, dass sich die Hotelrezeption auf der Rückseite des Hauses befindet. Johannes bleibt bei den Rädern, während Röbi und ich uns auf die Suche nach dem Hoteleingang machen. Zunächst stehen wir ratlos vor der Hausrückseite bis wir auf die Idee kommen, die steile Treppe zu erklimmen, die zu einer unscheinbaren Hintertür führt. Als sich auf unser Schellen niemand meldet, treten wir vorsichtig ein und befinden uns in einem düsteren Gang, der bald auf einen Quergang stößt. Hier endlich erblicken wir so etwas wie eine Rezeption. Langsam kommt ein gebeugter Herr mittleren Alters aus dem dunklen Hintergrund auf uns zu. Umständlich sucht er in seinen Unterlagen nach unserer Reservierung. Dann deutet er uns an, ihm zu folgen. Er öffnet eine Tür neben dem Tresen und steigt mit uns wiederum eine enge Treppe hinab, die unten in den Gastraum des Restaurants mündet. Wir teilen ihm mit, dass wir mit E-Bikes gekommen sind, die sich draußen vor dem Restauranteingang befinden. Er öffnet die Eingangstür und meint, wir sollten die Räder hereinfahren. Es irritiert uns, dass wir die Fahrräder in das Restaurant holen sollen. Daraufhin zeigt er in einen engen Flur hinein, an dem sich die Restauranttoiletten befinden. Dort sollen wir die Räder hinstellen. Wir fragen, ob es dort eine Möglichkeit zum Aufladen gebe. Nein. Jetzt bittet er uns nochmals, ihm zu folgen und schlurft in den angrenzenden Gastraum, der wie wir heraushören als Frühstücksraum dient und über einige Steckdosen verfügt. Hier könnten wir die Räder aufladen, müssten sie aber später doch in den Gang vor den Toiletten bringen. Wir verstehen und beginnen mit dem Abladen der Taschen und dem Aufladen der Räder. Der Hotelbesitzer zieht sich derweil wieder zurück. Röbi meint: „Was für ein Stiesel“!
Unsere sehr kleinen Zimmer befinden sich im zweiten Stock und sind unglaublich hellhörig. Wenn Gäste über uns sich in ihrem Zimmer bewegen, knarzt und kracht es bei uns, als befände sich jemand im Raum. Zum Glück haben wir immer Ohrstöpsel dabei.
Bei unserem späteren Rundgang durch die Stadt finden wir ein sehr ansprechendes Restaurant mit Sonnenschirmterrasse in der Abendsonne. Die Speisekarte ist ebenfalls überzeugend. Also lassen wir uns dort zum Essen nieder. Nach dem Essen haben Röbi und ich große Lust, noch irgendwo den Abend ausklingen zu lassen, während Johannes sich unbedingt schon wieder langlegen möchte und weder Lust hat, ein Eis zu essen oder noch etwas zu trinken. Nur haben wir diesmal keine Hotellounge und kein so geräumiges Hotelzimmer, dass wir uns dort noch hinsetzen könnten. Röbi überzeugt Johannes davon, dass er da jetzt durch müsse. Auf dem Kirchplatz lockt die Salsa Mexican Bar mit attraktiven Gaskaminfeuern auf ihren Außentischen. Wir kehren dort ein und Johannes bekommt von dem besonders freundlichen Kellner einen ganz speziellen Nachtisch namens Affogato gebracht, der ihm sehr mundet und ihn das Bett vergessen lässt.
Gegen halb elf endlich kehren wir in unser Hotel zurück und stellen zu unserer Bestürzung fest, dass der Hotelier zusammen mit seiner Frau bereits auf uns wartet. Offensichtlich wollen die beiden sicher gehen, dass wir die Räder aus dem Frühstücksraum entfernen. Das Restaurant ist offensichtlich schon länger geschlossen. Die beiden wirken nicht ärgerlich oder genervt wegen unseres späten Eintreffens auf uns, eher kleinlaut und unbeholfen. Wir beeilen uns, die Räder in den Flur zu bringen und wünschen ihnen eine gute Nacht.
Fortsetzung folgt demnächst.
Später wird es dann noch spannend werden beziehungsweise komisch. Stichwort: der Stiesel und seine noch stieseligere Frau.
Davon wird noch in Etappe 3 die Rede sein.